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Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Titel: Im Licht von Apfelbäumen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Coplin
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beugte sich tief nach unten und machte Kopfstand; ein Mann führte mit schwungvollen Gesten Kartentricks vor; ein anderer zog Gegenstände – eine Taschenuhr, ein Ei, ein Tuch – aus seinem Hut, indem er bloß mit der Hand darüberstrich, oder zauberte Münzen und kleine Steinchen hinter Kinderohren hervor. Hinter Angelenes Ohr fand er ein Berggänseblümchen von weniger als einem halben Zoll Durchmesser. Ah, sagte er. Eine Blume! Eine Blume für eine Blume!
    Abseits vom Gedränge breiteten Talmadge, Caroline Middey und Angelene auf einer Decke am Flussufer ihren Proviant aus. Sie aßen, was sie am Morgen vorbereitet hatten, Milchbrötchen, Wildfleisch und Aprikosen, ein paar eingelegte Gurken und Spargel aus kleinen Gläsern. Danach ging Talmadge zu einem alten Mann, der Wassermelonen feilbot, und kaufte eine. Er trug sie zu ihrem Platz zurück, schlug sie auf einen Stein, um sie aufzubrechen, und schnitt mit seinem Taschenmesser Stücke heraus. Sie aßen vornübergebeugt, die Ellbogen gespreizt, um sich nicht zu bekleckern. Angelene lachte. Langsam, mit triefenden Händen, aßen sie die ganze Melone auf.

    Della glaubte nicht, dass sie Maggie P. besonders gut zuhörte – sie hörte ihre Stimme, aber nicht so sehr das, was sie sagte –, doch dann stellte sie fest, dass sie manche Details aus dem Leben der anderen kannte. Sie war in Ellensburg geboren, ihre Familie lebte jetzt allerdings in Vantage. Ihr Vater war Arzt, und sie war die Älteste von neun Geschwistern. Ihr Vater stammte ebenfalls aus einer großen Familie, und Maggie P. hatte unzählige Vettern und Cousinen. Unter ihren Tanten väterlicherseits gab es welche, die arbeiteten – zwei waren Stenografinnen geworden, was die übrigen Familienmitglieder eine Zeit lang aufgeregt hatte, bis sie andere Dinge fanden, worüber sie sich ereifern konnten. Eines der Dinge, über die sie sich liebend gern aufregten, war der Umstand, dass Maggie P. jedes Jahr zur Erntezeit wegrannte, wie sie es nannten – so als käme sie nie wieder –, um in den Bäumen zu arbeiten. Das verstanden sie nicht.
    Über die nötigsten Höflichkeiten hinaus sprach Della zunächst nicht mit Maggie P., und zwischen ihnen herrschte die stillschweigende Übereinkunft, dass Maggie P. es nicht persönlich nehmen sollte, wenn sie Della etwas fragte und diese nicht darauf antworten mochte. Und daran hielt sich Maggie P. Aber manchmal stellte sie mitten bei der Arbeit eine derart beiläufige Frage, und Dellas Antwort schien von Maggie P.s schneller Antwort so sicher aufgefangen zu werden, dass Della zu ihrer eigenen Überraschung bisweilen doch etwas sagte, zögerlich und so leise, dass Maggie P., die häufig unter ihr auf der Leiter arbeitete, die Ohren spitzen musste. Was hast du da gesagt, Herzchen? Ich hab’s nicht richtig verstanden … Und Della wiederholte dann: Ich hab auch eine Nichte, und eine Schwester … Ach, und die leben oben in Wenatchee? Ja …
    Und obwohl es schien, als gäbe Maggie P. Della jedes Detail ihres Lebens preis – sie arbeiteten etliche Stunden zusammen in den Bäumen –, erzählte sie Della doch nicht alles, denn man gab nie alles preis. Zum Beispiel erzählte sie ihr nicht, dass es ihr einer, großer Lebenstraum war, eine eigene Obstplantage zu besitzen und mit einem Mann aus Mexiko dort zu leben. Sie schämte sich zuzugeben, dass sie noch keinen Mann ausgewählt hatte, sondern ihn nur in ihrer Einbildung vor sich sah, klein, robust und braunhäutig wie sie, mit den wundervollen breiten, starken Händen des mexikanischen Arbeiters. Sie hatte ein paar Worte Spanisch gelernt und einige Männer versuchsweise angesprochen, wenn sie ihnen in einem der grünen Gänge begegnete, dabei den einen erschreckt, den anderen belustigt. Der, den sie belustigt hatte, erwiderte ihr etwas, doch sie verstand es nicht. Der Gedanke, sie könnte ihre Chance aufs Glück verpasst haben, setzte ihr mächtig zu. Doch das hatte sie nicht, sagte sie sich dann, denn so leicht würde die Chance aufs Glück sie nicht davonkommen lassen. Jeden Morgen wieder gab die Hoffnung ihr Kraft: Die Zukunft rückte näher.

    Meine Güte, Mädchen, sagte Caroline Middey, und zog eine Stecknadel zwischen ihren Lippen hervor. Sie kniete neben Angelene, die auf einem Hocker vor dem langen Spiegel in Caroline Middeys Gästeschlafzimmer stand; sie hatte ein Gingankleid an, aus dem Caroline Middey den Saum herausließ.
    Du bist mindestens zwei Zoll gewachsen.
    Angelene schwieg, doch als Caroline

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