Im Meer schwimmen Krokodile
Polizisten kennen jede Menge Strategien – blockierten zwei Wagen und ein Laster den einen Zugang, während ihre Leute außen herumliefen und durch den anderen kamen.
Flucht war unmöglich. Es hat auch keiner versucht. Wer gerade Ziegel und Maurerkelle in der Hand hielt, ließ Ziegel und Maurerkelle sinken. Wer gerade auf dem Boden kniete, um elektrische Leitungen zu verbinden, ließ sie liegen und stand auf. Wer gerade Nägel einschlug, einen Hammer in der Hand und Nägel im Mund hatte, um sich nicht jedes Mal nach der Schachtel bücken zu müssen, hörte auf zu hämmern. Er spuckte die Nägel in den Sand und folgte den Polizisten wortlos.
Telisia. Sang Safid.
Als ich sah, wie sich die Polizisten auf der Baustelle postierten, schrien und ihre Waffen auf uns richteten, konnte ich nur noch an diese beiden Wörter denken:
Telisia. Sang Safid.
Mir fielen die verrückten Jungen wieder ein, denen ich in Afghanistan begegnet war.
Ein Polizist befahl mir, alles stehen und liegen zu lassen und mitzukommen. Sie trieben uns auf dem Hof zusammen, führten uns dann einzeln durch den mit Autos blockierten Zugang hinaus und verluden uns auf den Laster.
Dann schnappten sie sich Onkel Hamid, und ich hatte Angst, dass sie ihn vor unseren Augen töten würden, um uns zu zeigen, dass sie die Macht dazu hatten, wenn sie nur wollten. Stattdessen sagten sie zu ihm: Hol das Geld.
Onkel Hamid ging quer über den Hof ins »Haus« . Wir warteten schweigend. Als er zurückkam, hatte er einen Umschlag mit genügend Geld für unsere Rückreise nach Afghanistan dabei. Wird man im Iran ausgewiesen, muss man die Heimreise nämlich selbst bezahlen. Der Staat kommt nicht dafür auf. Werden gleich mehrere geschnappt wie in unserem Fall, hat man Glück: Denn dann schickt die Polizei einen los, der das Geld für die Heimreise aller holt. Wird man dagegen allein geschnappt, kann man die Reise bis zur Grenze meist gar nicht bezahlen. Und dann hat man wirklich ein Problem und kommt ins Durchgangslager, wo man sich das Geld für die Rückkehr wie ein Sklave verdienen muss. Man wird gezwungen, alles zu putzen, was schmutzig ist – und ich rede hier vom schmutzigsten Ort der Welt, anders kann ich das gar nicht beschreiben. Ein Ort, der, selbst hochdruckgereinigt, immer noch das größte Drecksloch der Welt bliebe. Eines, in dem sich nicht einmal eine Kakerlake wohlfühlen würde.
Wer nicht zahlt, riskiert, dass das Durchgangslager seine neue Heimat wird.
Wir haben damals bezahlt. Aber das war noch nicht al les. Auf dem Laster vertraute mir Onkel Hamid später an, dass er beim Geldholen noch zwei von uns entdeckt hätte, die gerade das Abendessen vorbereiteten und so der Razzia entgangen waren. Er hatte sie gebeten zu bleiben und unsere Sachen zu bewachen, bis wir wiederkämen.
Vorausgesetzt, man brachte uns nicht nach Telisia . Oder nach Sang Safid .
Zum Glück brachte man uns woandershin.
Im Lager scherten sie uns den Kopf kahl, damit wir uns nackt fühlten. Damit auch ja jeder merkte, dass wir als Illegale im Iran gewesen waren und dass man uns abgeschoben hatte. Sie lachten, während sie uns die Köpfe kahl scherten. Sie lachten, und wir wurden zusammengetrieben wie die Schafe. Um nicht zu weinen, sah ich zu, wie meine Strähnen zu Boden fielen: Haare sehen komisch aus, wenn sie nicht mehr auf dem Kopf sind.
Danach verluden sie uns wieder auf Lastwagen. Wir rasten in einem Affenzahn davon – der Fahrer muss bewusst nach Schlaglöchern Ausschau gehalten haben, denn sonst wäre es unmöglich gewesen, so viele zu erwischen. Wahrscheinlich gehörte diese Behandlung fest zur Abschie bung dazu. Ich machte eine entsprechende Bemerkung, aber niemand lachte. Irgendwann rissen sie die Türen auf und schrien, dass wir aussteigen sollten, wir wären da: In Herat, Afghanistan. Hätten sie einen Kipplader wie für den Kiestransport gehabt, hätten sie uns hinuntergekippt. Stattdessen beschränkten sie sich darauf, uns ein paar Stockschläge mitzugeben.
Herat ist der grenznahste Ort zum Iran. Jeder von uns hat so schnell wie möglich seine erneute Einreise organisiert, was kein Problem war. Die Stadt ist voller Schlepper, die nur auf die Abgeschobenen warten. Man hat kaum Zeit, sich von den Polizisten verprügeln zu lassen, da taucht schon jemand auf, der einen wieder in den Iran bringt.
Wenn man kein Geld hat, kann man auch später zahlen. Die Schlepper wissen, dass man irgendwo Geld versteckt hat, wenn man eine Zeit lang im Iran gearbeitet hat. Und
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