Im Meer schwimmen Krokodile
drehte mich sogar ein bisschen wie sonst auch, wenn ich schlafe. Der Polizist verpasste mir einen Tritt vors Schienbein, und da bin ich aufgewacht.
Komm mit, sagte er, sonst nichts. Er fragte mich nicht einmal nach meinem Namen.
Wohin?
Er gab keine Antwort, sondern sah mich nur an. Dann setzte er die Sonnenbrille auf, obwohl es im Bus dunkel war.
Ich nahm meine Tasche, entschuldigte mich bei dem Mädchen neben mir und bat es, mich vorbeizulassen. Dabei nahm ich wieder seinen wunderbaren Duft wahr. Ich ging den Gang hinunter und spürte, wie sich die Blicke in meinen Rücken bohrten und mir im Nacken brannten. Sobald ich einen Fuß auf die Straße gesetzt hatte, schlossen sich die Bustüren mit demselben pneumatischen Zischen wie vor wenigen Minuten, und der Bus fuhr ohne mich weiter.
Wir kamen zu einem kleinen Polizeirevier, vor dem ein Wagen parkte.
Telisia. Sang Safid.
Trommeln in der Nacht.
Telisia. Sang Safid.
Ich kann zahlen, sagte ich sofort. Ich kann die Abschiebung bezahlen. Schließlich hatte ich mein auf der Baustelle verdientes Geld dabei. Aber man wollte nichts davon wissen. Einer der Polizisten, ein riesiger Iraner, schubste mich durch eine Tür. Für den Bruchteil einer Sekunde stellte ich mir einen Folterkeller vor. Einen Brunnenschacht voller Totenschädel oder ein Loch, das bis zum Mittelpunkt der Erde reicht. Kleine schwarze Insekten, die an den Wänden entlangkrabbeln, und Säurespritzer an der Decke.
Was mich wohl in diesem Zimmer erwartete?
Eine Küche.
Mit einem Haufen schmutziger Teller und Töpfe.
Mach dich an die Arbeit, sagte der riesige Iraner. Da hinten sind Schwämme.
Ich brauchte Stunden, um den Kampf gegen die verkrusteten Reistöpfe zu gewinnen. Wer weiß, seit wie vielen Jahren sie schon auf mich gewartet hatten. Während ich Besteck und Teller spülte, kamen noch vier afghanische Jungen dazu. Nachdem wir mit der Küche fertig waren, nahmen sie uns mit, und wir mussten Autos und Laster ent- und beladen. Und das immer wieder: Sobald es einen Kofferraum oder einen Anhänger zu kontrollieren gab, riefen uns die Polizisten, und wir räumten ihn aus. Nach der Kontrolle riefen sie uns erneut: Kisten und Koffer mussten zurückgeräumt, Kartons aufeinandergestapelt werden und so weiter.
Dort blieb ich drei Tage. Wenn ich müde war, setzte ich mich auf den Boden, lehnte mich an die Wand und legte den Kopf auf die Knie. Wenn jemand auftauchte und es etwas zu ent- oder beladen gab, kam ein Polizist. Er gab uns einen Fußtritt und sagte: Los, aufwachen! Dann standen wir auf, und los ging’s. Am Abend des dritten Tages ließen sie mich gehen. Keine Ahnung, warum. Die anderen vier Jungen mussten bleiben, ich habe sie nie wiedergesehen.
Ich erreichte Qom zu Fuß.
Wie ich später erfuhr, ist Qom eine Stadt mit mindestens einer Million Einwohnern. Aber wenn man sämtliche Illegalen in den Steinfabriken mitzählt, müssten es mindestens doppelt so viele sein. Die Steinfabriken sind überall. In einer davon fand ich mit Sufis Hilfe ebenfalls Arbeit, und zwar in der, in der auch er arbeitete.
Wie waren vierzig, fünfzig Personen. Man steckte mich in die Küche: Ich kochte die Mahlzeiten und ging einkaufen. Anders als in Isfahan, war ich in Qom der Einzige, der das Fabrikgelände verließ. Um einzukaufen, natürlich, was für mich äußerst gefährlich war. Aber das ließ sich nun mal nicht vermeiden.
Ich kochte nicht nur, sondern putzte auch das Büro des Fabrikdirektors und wischte dort Staub. Und wenn es sonst noch irgendetwas zu tun gab, zum Beispiel für einen Kranken einspringen oder Sachen umräumen, riefen sie mich. Sie riefen: Ena! Manchmal drehten sie sich nicht einmal nach mir um, sondern riefen mich nur, als stünde ich bereits vor ihnen. So als würde ich mich materialisieren, so bald man meinen Namen rief. Ich war ein Mädchen für alles, so sagt man doch?
In diese Fabrik kamen Gesteinsbrocken, die man mit riesigen Maschinen zuschneiden musste. Manche waren so groß wie unser Haus in Nawa. Es herrschte ein unbe schreiblicher Lärm, und überall war Wasser. Man trug Stiefel (das war Pflicht) und eine Plastikschürze. Manche trugen sogar noch Ohrenschützer. Aber bei dem vielen Wasser auf dem Boden und dem Steinstaub in der Luft war es schwer, gesund, ja überhaupt am Leben zu bleiben. Oder unversehrt.
Tatsächlich kam es hin und wieder vor, dass ein Arbeiter, der die Maschinen bediente – jene riesigen Maschinen, die die Steine wie Butter in Scheiben schnitten –,
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