Im Meer schwimmen Krokodile
wenn nicht, kann man es sich leihen, ohne dass man vier Monate lang arbeiten muss, wie es Sufi und mir beim ersten Mal passiert ist.
Um in den Iran zurückzukehren, bestiegen wir wieder einen Toyota-Laster. Aber diesmal war die Fahrt gefährlicher, da wir die Straße nahmen, die auch die Schmuggler für ihre illegalen Transporte nutzten. Auch in unserem Toyota befanden sich Drogen. Wer im Iran mit mehr als einem Kilo Opium erwischt wird, wird gehängt. Viele Grenzpolizisten sind natürlich korrupt und lassen die durch, die zahlen. Doch wenn man auf einen trifft, der es ernst meint (und davon gibt es einige), ist man so gut wie tot.
Wir erwischten die Korrupten und kehrten nach Baharestan zurück. Ich ging sofort zur Baustelle und suchte nach Onkel Hamid, der allerdings noch nicht zurückgekehrt war. Mein Geld war dort, wo ich es vergraben hatte. Die beiden dagebliebenen Arbeiter hatten es gut bewacht. Trotzdem war es einfach nicht mehr so wie vorher. Isfahan wäre nicht mehr sicher, hieß es, nicht einmal Baharestan. Die Polizei hätte den Befehl, alle abzuschieben. Also rief ich Sufi in Qom an, in jener Fabrik, wo er Steine bearbeitete. Bei ihm sei momentan noch alles ruhig, sagte er. So beschloss ich, zu ihm zu fahren. Ich wartete, bis Onkel Hamid kam, um mich zu verabschieden, packte meine Sachen und ging zur Bushaltestelle.
Wie kann man so mir nichts, dir nichts sein Leben ändern, Enaiat? Sich an einem ganz normalen Vormittag von allem verabschieden?
Man tut es einfach, Fabio, und denkt nicht weiter darüber nach. Der Wunsch auszuwandern entspringt dem Bedürfnis, frei atmen zu können. Die Hoffnung auf ein besseres Leben ist stärker als alles andere. Meine Mutter zum Beispiel wusste, dass ich ohne sie in Gefahr bin. Aber dafür war ich unterwegs in eine andere Zukunft. Und das war besser, als in ihrem Beisein stets in Gefahr zu sein und ständig in Angst leben zu müssen.
Im Bus setzte ich mich ganz allein nach hinten, die Tasche fest zwischen den Beinen, ohne mich mit irgendjemandem zusammenzutun – mit keinem Schlepper, meine ich. Ich hatte keine Lust, schon wieder Geld auszugeben, nur um reibungslos ans Ziel zu kommen. Schließlich hatte ich Sufi schon einmal in Qom besucht, und alles war gut gegangen.
Es war ein schöner Tag, und ich machte es mir auf meinem Sitz gemütlich und lehnte den Kopf gegen die Scheibe, um etwas zu schlafen. Ich hatte mir eine iranische Zeitung gekauft. Wenn ich bei einer Kontrolle mit einer iranischen Zeitung im Schoß gesehen würde, glaubten die Polizisten bestimmt, mit mir wäre alles in Ordnung. Ein verschleiertes Mädchen, das wunderbar duftete, setzte sich neben mich. Drei Minuten später fuhren wir los.
Wir hatten bereits die Hälfte der Strecke hinter uns – zwei Frauen plauderten mit dem Mädchen neben mir und sprachen über eine Hochzeit, auf der sie gewesen waren; ein Mann las ein Buch, während ein kleines Kind neben ihm (sein Sohn vielleicht) ein Liedchen trällerte, eine Art Zungenbrecher – wir hatten also bereits die Hälfte der Strecke hinter uns, als der Bus bremste. Erst behutsam, dann immer stärker, bis er schließlich zum Stehen kam.
Eine Schafherde, dachte ich und fragte: Was ist los?
Von meinem Platz aus konnte ich nichts erkennen. Das Mädchen sagte: Polizeikontrolle.
Telisia. Sang Safid.
Der Busfahrer drückte auf einen Knopf, woraufhin sich die Türen zischend öffneten. Eine Ewigkeit verging, die Luft war zum Schneiden, und niemand sprach – nicht einmal jene, die nichts zu befürchten hatten, weil sie Iraner waren oder eine Aufenthaltserlaubnis besaßen. Dann stieg ganz gelassen der erste Polizist ein. Zwischen den Fingern hielt er einen Bügel seiner Sonnenbrille, den anderen hatte er im Mund.
Die Polizisten hatten nicht vor, jeden zu kontrollieren: Sie sehen sofort, wer Iraner ist und wer nicht. Sie sind darin geschult, illegale Afghanen zu entdecken, und wenn sie einen ausgemacht haben, gehen sie zu ihm und befehlen ihm, seine Papiere vorzuzeigen, obwohl sie ganz genau wissen, dass er keine hat. Ich musste mich unsichtbar machen, besaß aber keine Zauberkräfte. Ich stellte mich schlafend, denn wenn man schläft, ist es ein bisschen so, als wäre man gar nicht da. Außerdem wirkt man harmlos, wenn man sich schlafend stellt, und kann sich einbilden, dass sich die Dinge von selbst erledigen. Aber der Polizist war nicht dumm, er sah mich trotzdem, obwohl ich schlief. Er zupfte an meinem Pulli. Ich stellte mich weiterhin schlafend, ja
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