Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Im Meer schwimmen Krokodile

Titel: Im Meer schwimmen Krokodile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Geda
Vom Netzwerk:
diskutierten, wer wo was tun solle. Ich kam gerade mit einem Eimer in der Hand an ihnen vorbei und blieb stehen, um zuzuhören.
    Wer soll wohin gehen?, fragte ich.
    Einkaufen.
    Einkaufen? Draußen?
    Hast du irgendwo auf der Baustelle Geschäfte gesehen, Enaiat jan ? Jede Woche muss einer von uns einkaufen gehen, erklärte mir einer der Älteren. Ich war in den letzten Wochen schon dreimal einkaufen. Jetzt ist Khaled dran. Er war erst einmal.
    Ja. Aber vor drei Wochen. Seit wann ist eigentlich Hamid nicht mehr draußen gewesen, he? Seit zwei Monaten, wenn nicht sogar länger!
    Das stimmt nicht. Ich war letzten Monat einkaufen, weißt du das nicht mehr?
    Der Staub hat dir das Hirn vernebelt, Hamid.
    Wie dem auch sei: Einmal in der Woche kaufte jemand, der schon länger da war und sich in der Stadt auskannte, für alle ein. Er nahm ein Taxi und besorgte, was wir so brauchten, und zwar in einem ganz bestimmten Laden, der so gut wie alles vorrätig hatte. Der Inhaber war ein Freund. Danach kehrte man sofort zurück, ohne auch nur einen Chai zu trinken oder ein Brot zu essen. Die Ausgaben wurden geteilt. Man kochte gemeinsam, man aß gemeinsam, man spülte gemeinsam ab. Jeder hatte seine Aufgabe, jeder kam einmal dran.
    An jenem Tag ist schließlich Hamid gegangen. Ich sah, wie er ins Taxi stieg, und rief ihm zu: Viel Glück, Onkel Hamid. Pass auf die Polizei auf!
    Und du, pass auf den Brennkalk auf! Der Sack ist undicht.
    Der Kalk rieselte mir auf die Schuhe. Ich rannte zum Bauleiter.
    Gegen Abend hielt ich mich in der Nähe des Tors auf und wartete auf Onkel Hamid. Ich war mir sicher, dass man ihn geschnappt hatte – und sah ihn schon in einer Abdeckplane die Berge von Telisia hinunterrollen –, als ich eine Staubwolke hinter der Kurve aufsteigen sah. Dasselbe Taxi, in das er am Morgen gestiegen war, raste die Baustellenabzäunung entlang und kam vor mir zum Stehen. Der Kofferraum war voller Tüten. Ich half, ihn auszuräumen und die Tüten nach oben zu tragen.
    Danke, Enaiatollah jan .
    Gern geschehen, Onkel Hamid. Ist alles gut gegangen? Hast du Polizei gesehen?
    Nein, ich habe niemanden gesehen. Alles ist gut gegangen.
    Hast du Angst gehabt?
    Hamid, der gerade Reisschachteln und Gemüse aufeinanderstapelte, erstarrte.
    Ich habe niemals Angst, Enaiat, sagte er. Und ich habe ständig Angst. Ich kann das eine gar nicht mehr vom anderen unterscheiden.
    Hast du nie etwas von Isfahan gesehen, Enaiat?
    Nein.
    Es soll wunderschön sein.
    Ich habe mir mal Fotos im Internet angeschaut. Auf vielen sieht man den Platz, der dem Imam Khomeini gewidmet ist, die Scheich-Lotfollah-Moschee und die Shahrestan-Brücke. So habe ich auch erfahren, dass die Ruinen von Bam gar nicht so weit entfernt sind. Die Zitadelle war das größte Lehmziegelbauwerk der Welt. Ein Erdbeben hat sie zerstört, kurz nachdem ich wegging.
    Das müssen wunderschöne Orte sein.
    Aber ich wusste das damals nicht. Es gibt ein iranisches Sprichwort, das besagt : Isfahan nesf-e jahan , was bedeutet: Isfahan ist die Hälfte der Welt.
    Genau. Auch die Hälfte der deinen, Enaiat?
    Ich muss die Wahrheit sagen, denn wenn einer der Män ner, die ich in Isfahan kennengelernt habe, dieses Buch liest, soll er es wissen, denn vermutlich habe ich es niemals ausgesprochen: Es ging mir gut, dort auf der Baustelle. Also, danke noch mal!
    Wir haben hart gearbeitet, das schon. Wir haben ständig gearbeitet, gut und gern elf, zwölf Stunden am Tag. Aber es gab auch nichts, was wir sonst hätten tun können.
    Auch mit der Bezahlung hat alles gut geklappt. Nach vier Monaten händigte der Bauleiter das Geld wie vereinbart nicht mehr dem Schlepper, sondern uns aus.
    Ich erinnere mich noch an meinen ersten Lohn: zweiundvierzigtausend Toman .
    Nachdem ich meinen Anteil an den monatlichen Ein käufen bezahlt hatte, blieben noch fünfunddreißigtau send übrig. Das sind ungefähr fünfunddreißig Euro, wenn man davon ausgeht, dass tausend Toman damals einen Euro wert waren. Die Fünfunddreißigtausend bestanden aus lauter Scheinen. Damals habe ich die Baustelle zum ersten Mal verlassen. Ich schaute sorgfältig um jede Ecke und drückte mich an den Häuserwänden entlang. Obwohl ich Angst hatte, schlich ich mich heimlich fort, betrat ein Geschäft in der Nähe und ließ mir sämtliche Scheine in Münzen wechseln, denn so sahen sie nach noch mehr Geld aus. Ich fand eine abschließbare Geldkassette, um sie darin aufzubewahren. Wenn ich mich abends nach der Arbeit in meiner Ecke ausstreckte,

Weitere Kostenlose Bücher