Im Mond des Raben
durch Geheimhaltung oder auf andere Art. Mein Bruder hat Muins Großvater nicht getötet. Es war meine Aufgabe als Laird, für Gerechtigkeit zu sorgen, und das habe ich getan.«
Diesmal brandete Beifall auf, und die ohrenbetäubende Lautstärke schockierte ihn schon fast.
Inmitten von alldem trat Guaire vor. Er sah ganz wie ein zufriedener Mann mit einem Gefährten aus, den er sich sein Leben lang ersehnt und nie zu finden erwartet hatte.
Und obwohl er ein Mensch war, hatte Nialls rothaariger Seelengefährte einige sehr ausgeprägte Merkmale des Wolfes.
Er streckte die Hand aus, und Barr nahm sie und zog den kleineren Mann dann in die Arme. »Guaire«, begrüßte er ihn freundlich.
»Laird«, antwortete Guaire respektvoll. »Talorc hat mich hergeschickt, um Euren Seneschall auszubilden. Mir scheint jedoch, als wäre das die geringste Eurer Sorgen. Niall war so freundlich, mich auf der Reise hierher zu begleiten.«
Aha. Dann war das also die Geschichte, die Talorc sich für sie zurechtgelegt hatte, weil einige menschliche Clan-Mitglieder eine etwas merkwürdige Einstellung zu gleichgeschlechtlichen Verbindungen hatten. Niall und Guaire lebten also nicht in aller Offenheit als Gefährten zusammen, was ihrem Glück jedoch keinen Abbruch tat. Ihren Chrechte-Brüdern und auch einigen der Menschen gegenüber konnten sie so offen sein wie jedes andere Paar. Genau genommen war es sogar so, dass es auch unter den Menschen in den Clans gar nicht so ungewöhnlich war, dass zwei Junggesellen zusammenlebten.
Wie praktisch, dass ich erst vor ein paar Tagen einen neuen Seneschall ernannt habe! , sagte Barr über ihre geistige Verbindung zu seinem Bruder.
Ja, nicht wahr?
Niall musste die Worte auf die gleiche Weise für Guaire wiederholt haben, denn er lächelte und meinte: »Gut.«
Einige Leute schienen über Guaires zusammenhanglose Bemerkung verwirrt zu sein, doch die meisten bemerkten sie gar nicht, weil sie noch zu erschüttert waren von den Vorfällen um Wirp.
»Wir werden für heute Abend einen Scheiterhaufen im Wald errichten.« Barr freute sich nicht auf eine weitere Totenwache für einen Wolf mit einer verderbten Seele, doch als Clan-Chef und Rudelführer konnte er sich dieser Verpflichtung nicht entziehen.
Mehrere Clan-Mitglieder sahen gar nicht glücklich aus.
»Die Teilnahme an der Feuerbestattung ist keine Pflicht«, beruhigte Barr sie.
Wieder machte sich Erleichterung unter ihnen breit wie eine spürbare Präsenz. Wirp war offenbar sogar noch unbeliebter gewesen als Rowland.
Wer sonst noch im Clan hatte das Übel der Gewalttätigkeit und des Missbrauchs des in sie gesetzten Vertrauens genährt?
Es war eine Frage, auf die Barr keine Antwort hatte, als sein Bruder sie ihm am nächsten Tag stellte. Sie befanden sich mit einer Gruppe junger Chrechten auf der Jagd, ganz wie an dem Tag, als Barr Sabrine im Wald gefunden hatte.
Earc war auf der Burg geblieben, um die menschlichen Soldaten zu trainieren, und auch Guaire hatte auf die Teilnahme an der Jagd verzichtet, um Aodh in den Aufgaben eines Seneschalls zu unterrichten.
Barr und Niall blieben ein wenig hinter den anderen zurück und überließen es den jüngeren Männern, den Keiler in die Enge zu treiben.
»Bei dem Krach, den sie veranstalten, werden sie diese Beute nie einsacken«, bemerkte Niall und lehnte sich an einen Baum.
»Sie werden es lernen«, sagte Barr. Oder er würde sie sich einmal ordentlich zur Brust nehmen müssen.
»Aye.«
»Sabrine sagt, dass sie nicht bleiben will.«
Niall, der nie viele Worte machte, schaute Barr nur fragend an.
»Sie ist aus einem ganz persönlichen Grund hier, den ich noch nicht herausgefunden habe, doch sobald sie ihr Ziel erreicht hat, wird sie gehen.«
Niall runzelte die Stirn. »Bist du sicher?«
»Aye. Ich denke, sie sucht etwas.« Barr konnte sich nicht sicher sein, doch er glaubte nicht, dass sie es schon gefunden hatte.
»Sie ist deine wahre Seelengefährtin.«
Niall hatte es nicht wie eine Frage klingen lassen, aber Barr antwortete trotzdem: »Das ist sie.«
»Weiß sie das?«
»Sie versuchte anfangs noch, es zu verleugnen, doch inzwischen hat sie die Wahrheit akzeptiert.«
»Und trotzdem will sie dich verlassen?« Obwohl Niall nicht einmal die Stimme erhob, war seine Wut über Sabrines Vorhaben an der weiß gewordenen Haut um seine Narbe zu erkennen.
»Sie glaubt, sie hätte keine andere Wahl.«
»Aber sie irrt sich.«
»Das habe ich ihr auch gesagt.«
Wieder verfiel Niall in Schweigen,
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