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Im Mond des Raben

Im Mond des Raben

Titel: Im Mond des Raben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Monroe
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die einzigen Éan-Kräfte, die sie darin spürte, gingen von Circins und Vericas Zimmern aus. Wie nicht anders zu erwarten, weil sie älter war und eine sehr machtvolle Chrechte-Gabe besaß, war die Éan-Präsenz in Vericas (und jetzt auch Earcs) Zimmer die stärkere gewesen. Aber ganz gleich, wo Sabrine sich auch umschaute, sie fand nirgends eine Spur des heiligen Steins.
    Sie war schon nahe daran, Verica um Hilfe zu bitten, da die Zeit mit jedem Tag knapper wurde, doch der Gedanke, die Geheimnisse der Éan an einen Außenstehenden weiterzugeben, selbst wenn dieser ein anderer Raben-Gestaltwandler war, gefiel Sabrine nicht. Dazu hatte sie die Geheimnisse ihres Volkes zu lange gehütet.
    Aber sie musste auch die Preisgabe des Geheimnisses gegen das Risiko abwägen, dass sie den Clach Gealach Gra vielleicht nicht fand. Dies würde dramatische Konsequenzen für die Éan haben. Ein Risiko war zweifelsohne von folgenschwererer Bedeutung als das andere.
    Dieses Wissen ließ die Aussicht, die Geheimnisse der Éan zu verraten, jedoch keineswegs erträglicher erscheinen.
    »Wieso machst du ein Gesicht, als wäre die Milch in deinem Haferbrei sauer?«, unterbrach Vericas sanfte Stimme Sabrines sorgenvolle Überlegungen.
    Die Heilerin setzte sich neben Sabrine auf die lange Bank am Tisch im großen Saal. Brigit, ihre treue Schülerin, war nirgendwo zu sehen, was vielleicht ein Zeichen war. Wenn überhaupt, war jetzt der richtige Moment, Vericas Hilfe zu erbitten.
    »Ich esse keinen Haferbrei.« Eigentlich tat sie nichts anderes, als den Tisch anzustarren, der von der neuen Haushälterin sehr gründlich abgeschrubbt worden war, und sich den Kopf darüber zu zerbrechen, wie sie weiter vorgehen sollte.
    Verica lächelte sie mit einem nachsichtigen Blick an. »Das war eine Redewendung, weiter nichts.«
    »Oh.« Natürlich.
    »Sagt man das nicht bei den Éan?«
    Sabrine zuckte mit den Schultern. »Schon möglich. Aber ich verbringe nur wenig Zeit im Dorf.« Und sie hatte so viele Jahre ausschließlich unter Kriegern gelebt, dass sie sich nicht mal mehr an die Lebensweise der normalen Éan erinnerte.
    »Es gibt ein Dorf im Wald?«
    Sabrine öffnete schon den Mund, um von der Frage abzulenken, bevor sie sich eines Besseren besann. Verica musste verstehen, dass es nicht nur eine Hand voll Krieger waren, die durch den Verlust des heiligen Steins geschädigt würden. »Gewissermaßen. Einige leben in den Bäumen, andere in Höhlen.«
    Nicht so primitiv wie frühere Generationen, sondern eigentlich fast genau so, wie die Chrechten heute in ihren Hütten innerhalb der Clans lebten. Mit Kochfeuern, Lebensmittelvorräten für den Winter, Fellen zum Schlafen und sogar einfachen Tischen und Bänken. »Einfach« bis auf die handgeschnitzten Verzierungen im Holz, die keineswegs als schlicht bezeichnen werden konnten, von den Möbeln jener, die von königlicher Herkunft waren, ganz zu schweigen.
    »Und es gibt bei euch sowohl Raben als auch Adler?«
    Wieder musste Sabrine sich zu einer Antwort zwingen. Aber Verica verdiente es, etwas über ihre Leute zu erfahren, auch wenn sie nie bei ihnen leben würde. »Früher gab es auch Falken, doch schon vor der Zeit meiner Großmutter wurden keine mehr gesehen.«
    »Lebt sie noch?«
    »Sie ist die älteste der Éan.« Als spirituelle Führerin war ihre Großmutter sehr enttäuscht gewesen, als Sabrine beschlossen hatte, den Weg der Krieger zu beschreiten. Anya-Gra, eine strenge Verfechterin der Chrechte-Traditionen und ihres Glaubens, wäre ungemein verärgert, wenn sie wüsste, dass ihre Enkeltochter vorhatte, ihren wahren Seelengefährten zu verlassen. Vielleicht wäre sie deswegen sogar noch wütender als Barr. »Sie und ich sehen die Welt nicht mit denselben Augen.« Und dieses Wissen erzeugte einen dumpfen Schmerz in ihrer Brust wie immer, wenn Sabrine daran dachte.
    »Das ist sicherlich nicht leicht.« Vericas warme Stimme war voller Verständnis und Mitgefühl. Würde sie das Gleiche empfinden, wenn sie wüsste, dass Sabrine die Donegals und ihren Laird verlassen wollte?
    »Nein.«
    »Sahst du deshalb so unglücklich aus, als ich hereinkam? Weil du an deine Großmutter dachtest?«
    »Nein.« Nun, da Barr die älteren Chrechten zu ihren Familien geschickt hatte, um bei ihnen statt in der Burg zu leben, wie sie es unter Rowland getan hatten, war es ungefährlicher, ein wenig offener zu reden.
    Trotzdem wollte Sabrine kein Risiko eingehen, und deshalb öffnete sie ihr Bewusstsein, um festzustellen,

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