Im Mond des Raben
nicht?
Verica ist auch so glücklich, trotz der Risiken, die es mitbringt, hier inmitten potenzieller Feinde zu leben.
Dieser Clan ist ihre Familie. Und ich werde diejenigen aufspüren, die nur um des Tötens willen töten würden. Das ist meine Pflicht als Laird, sagte Barr.
Du bist dir deiner selbst sehr sicher.
Wie du.
Für einen Augenblick entstand ein überraschtes Schweigen.
Dann hätte Barr beinahe laut gelacht. Du bist als Kriegerin genauso selbstsicher wie ich.
»So hübsch Vericas und Earcs Zimmer auch ist, könnten diese Enthüllungen vielleicht doch an einem etwas bequemeren Ort stattfinden«, bemerkte Guaire und schenkte Verica ein entschuldigendes Lächeln.
Barr zweifelte nicht daran, dass der Lebensgefährte seines Bruders sehr genau gewusst hatte, welchen geistigen Austausch er mit seinen Worten unterbrochen hatte. Der Seneschall seines früheren Lairds war ein hochintelligenter Mann, wenn auch leider nur ein mittelmäßiger Krieger. Earc reagierte sichtlich ungehalten auf Guaires Einwand, und schon wieder hätte Barr beinahe laut gelacht. Guaires Charme und Selbstvertrauen waren noch gewachsen, seitdem er mit Niall den Bund fürs Leben geschlossen hatte. Doch während Talorc keine Eifersucht auf die enge Freundschaft Guaires mit seiner Ehefrau und Gefährtin zeigte, waren andere Krieger nicht so tolerant.
Schon auf dem Weg zur Tür, sagte Barr: »Wir treffen uns im großen Saal.«
»Und wenn nun Padraig oder Pater Thomas von ihren Besuchen bei den Clan-Mitgliedern zurückkehren?«, fragte Verica.
»Sie besuchen ihre Schäfchen in den Randgebieten unserer Ländereien«, antwortete Barr über die Schulter. »Deshalb werden sie frühestens in einer Woche zurückkehren.«
Aus Sorge um den Priester und Padraig, die gewöhnlich ohne Eskorte reisten, hatte er ihnen zwei seiner besser ausgebildeten Soldaten mitgegeben.
»Aodh macht eine Bestandsaufnahme in den Met- und Bierkellern«, fügte Guaire hilfsbereit hinzu. »Und seine Frau ist in der Küche und beaufsichtigt die Vorbereitungen für das Abendbrot.«
Earc holte Circin, und alle versammelten sich im großen Saal an der langen Tafel, an der sie ihre Mahlzeiten einnahmen. Sabrine eröffnete das Gespräch, indem sie von den Éan des Waldes erzählte. Circin machte große Augen, als ihm klar wurde, dass nicht nur die anderen am Tisch über seine duale Natur im Bilde waren, sondern dass es auch noch mehr Raben-Menschen gab.
Er stellte eine interessierte Frage nach der anderen, die Sabrine alle geduldig und offen beantwortete.
Barrs Ehrfurcht wuchs, als seine Gefährtin über das schwierige Leben der Éan im Wald sprach. Die Vogel-Gestaltwandler hielten sich nach wie vor an die alten Sitten und Gebräuche, und dennoch gelangten irgendwie auch immer wieder fremde Menschen in ihr Dorf. Als Lebensgefährten, Freunde oder Ratgeber.
»Ihr erlaubt ihnen doch bestimmt nicht, wieder zu gehen, wenn sie zufällig auf euer Dorf stoßen?«, fragte Circin bestürzt und neugierig zugleich.
»Unsere Ländereien sind von denen irgendwelcher Clans weit entfernt. Wer uns entdeckt, ist auf der Suche nach einer Legende. Und wenn er sie findet, muss er sein altes Leben aufgeben.«
»Was passiert, wenn er nicht dazu bereit ist?«, hakte Verica nach.
Sabrine warf ihr einen gleichmütigen Blick zu. »Du kennst das Chrechte-Gesetz bezüglich der Preisgabe unserer Geheimnisse.«
»Ihr tötet den Fremden?« Vericas Augen weiteten sich. »Aber was ist, wenn er verspricht, niemandem etwas zu erzählen?«
»In den letzten fünfzig Jahren mussten wir das Gesetz nicht anwenden«, antwortete Sabrine nur.
Barr entging nicht, dass sie Vericas Frage damit nicht beantwortet, sondern nur umgangen hatte. Seine Gefährtin war sehr gut in dieser speziellen Taktik, und zu sehen, wie sie sie bei jemand anderem anwandte, ließ seine Bewunderung wachsen. Dabei ärgerte er sich doch jedes Mal, wenn sie seinen Fragen auswich …
Guaire, der nicht ganz überzeugt aussah, wollte von Sabrine wissen: »Kein Mensch hat die Éan in all diesen Jahren gefunden?«
»Keiner hat versucht, sie danach wieder zu verlassen«, entgegnete Sabrine grimmig.
Guaire nickte verstehend, Niall beifällig. Die Konsequenzen mochten hart sein, doch auch Barr verstand und billigte die Beibehaltung des uralten Gesetzes.
Es hatte eine Zeit gegeben, in der auch die Faol getrennt von den Menschen gelebt hatten, vor MacAlpins Verrat. Damals war bei ihnen das Gesetz sogar noch strenger angewandt worden. Es
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