Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx
sie auf den Berg. Dort sammelten sich alle und rüsteten sich für die Eroberungen, die folgen sollten. Zuerst waren es nur Tarukans Männer, die sich in den Gängen der Zitadelle bewegten, weil das Lager der Südländer näher war. Aber Borija wusste, dass bald auch seine Dragoner eintreffen würden.
Nur würden es nicht mehr seine Dragoner sein, sondern andere Wesen. Dämonische Kreaturen. Die Körper seiner Soldaten, erfüllt und gelenkt vom Geist der alten Götter. Borija musste nicht auf ihre Ankunft warten, um das zu wissen. Er hatte Lewo als Beispiel dafür, und sein alter Gefolgsmann war ihm fremd geworden. Lewo ging seinen eigenen Weg, er reihte sich ein in das Treiben der Zitadelle und zeigte mit keiner Geste, dass er Borija noch kannte. Es war an der Zeit, dass auch Borija seinen Platz fand.
»Kann ich die dewa Swetjana haben, wenn ihr mit ihr fertig seid?«, fragte er den Südländerhauptmann Tarukan – besser gesagt jenes Wesen, das einst Tarukan gewesen war. Nun beherbergte der Leib den Feldherrn der alten Götter, und Tarukan hatte sich verändert: Sein Gesicht und die Arme waren länger geworden und sehniger. Die Haut spielte ins Gelbliche, die Augen waren rot und die Zähne schärfer. Tarukans Lederhandschuhe waren aufgerissen, messerscharfe Fingernägel schoben sich durch die Kuppen.
»Hm?« Tarukan wirkte abwesend.
Im Grunde, befand Borija, hatte sich wenig verändert. Der Hauptmann der Südländer lief umher und gab Befehle. Er war nun der Herr der Zitadelle und plante die Eroberung der Welt. Wenn Borija es richtig verstand, war Tarukan genau deswegen hierhergekommen. Da schien die Ankunft der alten Götter und die Besessenheit am Ende gar keinen Unterschied zu machen.
Borija blieb jedenfalls in der Nähe des Anführers seiner neuen Bundesgenossen und suchte nach einer günstigen Gelegenheit, um den eigenen Stand zu sichern, um den Lohn einzufordern, den der Geist in der Hauptstadt ihm versprochen hatte: eine ehrenhafte Stellung in der neuen Ordnung. Ein Kommando. Reichtümer. Was immer ein Mensch unter der Herrschaft der alten Götter begehren mochte.
Borija hatte den Preis entrichtet, und er hoffte, dass die Belohnung es wert war.
Tarukan antwortete nach einer Weile, als hätte es so lange gedauert, bis er die Worte verstand. Er lachte. »Wenn wir mit dieser Frau fertig sind, werden nur noch ein paar blutige Fetzen übrig sein von ihr. Ist das der Lohn, den du von uns erwartest?«
Borija sog scharf die Luft ein. »Ist … ist das wirklich nötig?«
»Das wissen wir erst, wenn wir jede Faser ihres Leibes und jeden Tropfen ihres Blutes untersucht haben. Wie können wir vorher wissen, ob es nicht noch etwas Lohnendes zu entdecken gibt?«
Tarukan – oder das Wesen, das jetzt in seinem Körper steckte – überlegte einen Augenblick. Dann fügte er hinzu: »Aber was du eigentlich wissen wolltest, nehme ich an, ist, ob wir sie verschonen können? Nein. Was glaubst du? Sie ist verunreinigt und unbrauchbar. Selbst wenn wir sie nicht töten müssten, um alles über ihren Fehler zu erfahren, so müssten wir sie nach der Untersuchung auf jeden Fall vernichten. Wir müssen alle Menschen vernichten, die diesen Fehler in sich tragen, denn nur so kann diese Welt ganz uns gehören.«
»Ich … ich bin wie sie«, entfuhr es Borija, und er fragte sich im selben Moment, ob es klug gewesen war, das zu sagen.
Tarukan winkte ab. »Nun, ein Exemplar können wir verkraften. Du hast deine Treue bewiesen. Es schadet uns nichts, wenn wir dich bis zum Ende deiner natürlichen Lebensspanne unter uns arbeiten lassen. Der Übergang dieser Welt wird ohnehin eine gewisse Zeit brauchen.
Weswegen interessiert dich diese Frau? Ich weiß, warum wir sie wollen. Aber ist dir an ihr besonders gelegen?«
»Nein«, sagte Borija vorsichtig. »Sie ist jung. Und hübsch.«
»Ich verstehe«, sagte Tarukan. »Menschenmänner suchen die Gesellschaft von Gefährtinnen. So seid ihr geschaffen. Sei ohne Sorge, ich werde einen Ersatz finden für dieses Bedürfnis. Diese Frau käme dafür ohnehin nicht infrage. Wie du bereits festgestellt hast: Ihr tragt beide denselben Fehler in euch. Auch wenn wir dich am Leben lassen, mein guter Borija, so können wir doch nicht zulassen, dass du dich mit deinesgleichen vermehrst und den Fehler weitergibst.«
»Das … ist wohl wahr«, erwiderte Borija matt.
Tarukan lachte wieder. Er klopfte Borija auf die Schulter. Es wirkte wie die unbeholfene Nachahmung einer menschlichen Geste. »Warum so
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