Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx
die Hand fortschob, ließ er sie tiefer gleiten.
Doch das war nichts gegen den abscheulichen Kuss, der wie mit schleimigen Fäden zwischen ihren zusammengebissenen Zähnen hindurchdrang und in ihrem Mund umhertastete, als hätte er Fühler. Es stach und es kribbelte.
Swetja nahm alle Kraft zusammen und rammte beide Fäuste gegen Makris Brust. Sein Griff löste sich, und sie stieß ihn weg. Sie schrie auf und spie aus, mit Tränen in den Augen.
Makri rollte über den scheppernden Eisensteg. Mit halb verschleiertem Blick konnte Swetja sehen, wie schwarze Rinnsale ihm von den Lippen hingen, dünne Zungen, die sich wanden wie Würmer und in seinen Mund zurückkrochen. Makri lachte.
Swetja rannte los. Mit zwei Sprüngen war sie bei der Luke. Sie nestelte an den Verschlüssen herum, wischte sich die Tränen aus den Augen und tastete weiter.
Makri kauerte auf allen vieren und sah sie an. »Ah, raus will sie, meine Kleine. Sie mag den armen Makri nicht, er ist ihr zu alt. Aber die Engel sind groß und schön, mit denen mag sie reden.«
»Bleib weg von mir!«, fuhr Swetja ihn an. Der Greis sah dürr aus, und man konnte fast vergessen, wie viel Kraft sie eben kurz in seinen Fingern gespürt hatte, als er ihr Gesicht umfasste und seine Lippen auf ihren Mund presste. Jetzt machte er sich klein, sah zu ihr empor, doch er traf keine Anstalten, noch einmal mit Gewalt zu erlangen, was auch immer er von ihr haben wollte.
»Die Engel. Die Nachtjäger«, sagte er. »Ich glaube, du kennst sie. Sie warten draußen in der Halle. Wenn du lieber zu ihnen gehen willst, dann ist es mir recht. Es sind Diener der Götter, und ich kann sie später befragen, was sie in deinem Kopf gefunden haben.«
Swetjas Finger zitterten.
Makri strich um ihre Füße wie eine Katze. Er schmiegte sich an ihre Beine, aber dann und wann rupfte seine Haut an ihren Strümpfen wie mit Dornen. »Unsere Engel«, schnurrte er. »Weißt du, was sie tun? Sie umarmen jeden Eindringling und nähren sich von seinen Schmerzen, während sie den Leib zerfleischen. Im Kopf eines Menschen steigen so köstliche Aromen und wundervolle Gedanken auf, wenn die Nachtjäger ihn küssen. All das holen sie aus ihm heraus. Es sind dumme Tiere, und mit den feineren Gedanken ihrer Gespielen können sie nur wenig anfangen. Aber wir können es. Ich werde mir von ihnen holen, was ich wissen muss, nachdem sie von dir gekostet haben, und wir werden den Fokus wiederfinden.«
Ein schwarzer Speichelfaden rann ihm aus dem Mundwinkel und hob sich in ihre Richtung.
Swetja stieß die Luke auf.
Sie konnte es schaffen! Ein kurzer Spurt durch die Halle, bevor die Geflügelten erwachten. Sie war schon einmal an ihnen vorbeigekommen. Um alles andere konnte sie sich später sorgen, aber sie wollte, sie musste weg von hier!
Swetja landete auf dem Boden, sprang auf und lief um ihr Leben.
Sie hob den Kopf. Die Halle war dunkel, vor den Fenstern war die Nacht hereingebrochen. Mondlicht sickerte herein, so schwach, dass es kaum die Umrisse des Raums enthüllte. Das rote Glühen des Styx sank herab wie eine Wolke, doch es erhellte nichts.
Swetja erinnerte sich an den Weg. Sie wusste genau, wo der Ausgang war, und sie brauchte kein Licht. Sie rannte und streckte die Arme vor.
Dann war ein Rauschen über ihr. Krallen bohrten sich in ihre Schultern. Sie schrie auf, als die Haut riss und scharfe Spitzen ihr tief ins Fleisch drangen. Augenblicklich wurden ihre Arme taub, ihre Füße lösten sich vom Boden …
Ein zweiter Schatten sprang aus dem Dunkel vor ihr wie ein Raubtier. Mit lautem Gebrüll prallte er gegen Swetja und den Fledermausmann. Sie fühlte, wie ein schweres Gewicht an ihnen beiden hing und den Geflügelten hinab auf den Boden zog. Er ließ los, und Swetja fiel hin.
Sie hörte ein Kreischen und dumpfe Schläge, ein Brüllen und die Flüche eines Menschen. Eine leisere Stimme gleich bei ihr.
»Hm, ich denk mal, das war’s jetzt mit’m Schleichen, irgendwie?«
»Ich mach Licht«, antwortete eine andere Stimme. »Wenn der Buschmann rumbrüllt wie ein Wilder, ist mir auch egal, wer uns sieht. Scheißschatten, da kann sonst was lauern.«
Funken stoben auf.
Der Lärm neben Swetja sank von einem wilden Tumult zu einem Dröhnen von fast schon mechanischer Regelmäßigkeit herab. Es klang so, als würde jemand mit einem Holzhammer auf Metall schlagen. Das Kreischen war verstummt. Eine Fackel loderte auf.
»Scheiße!«, rief eine Frauenstimme.
Swetja erkannte die Söldnerin mit der
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