Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx
legten sich über die Kante des Plateaus. Gontas erstarrte. Er lauschte und wartete ab, in dem Winkel, wo der Vorsprung aus der Steilwand herauswuchs.
Behutsam schob er den Kopf über den Rand und schaute sich um.
Genau, wie ich gedacht habe!
Im blassen Morgenlicht, das vom Schatten der Felswand fast ausgelöscht wurde, erhob sich eine dunkle Gestalt. Sie stand am vorderen Ende des Plateaus. Das musste der Zauberer sein, der die Steinbestien zum Leben erweckt hatte!
Gontas sah kaum mehr als einen verschwommenen Fleck, zwei Silhouetten, die sich zu einem unscharfen Umriss vereinten. Dennoch hatte er das Gefühl, dass die Gestalt ihm den Rücken zuwandte und ins Tal hinabblickte, auf die Nebelbank, die unter ihm lag wie ein See aus Wolken und nur von den höchsten Felssäulen und Steinformationen durchstoßen wurde.
Gontas schob sich ganz auf den Sims. Er atmete flach. Schon ein kleiner Stein, gegen den er stieß, konnte ihn verraten. Er musste sich seinen Weg so langsam ertasten, dass nicht einmal ein loser Kiesel unter seiner Berührung erbebte. Mit jedem Augenblick, der verstrich, wuchs die Gefahr, dass sein Gegner sich zufällig umdrehte und ihn erblickte.
Er war noch acht Schritt entfernt, noch sechs – Gontas erwog seine Schwäche und schlich näher heran. Dann sprang er auf, seine Hände fuhren auf den Gegner zu. Der schien die Bewegung zu spüren und drehte sich um. Doch Gontas packte ihn bereits mit beiden Händen am Hals und drückte zu.
Die Gestalt umklammerte Gontas’ Unterarme. Es war nur eine schwächliche Berührung. Gontas drückte fester zu, seine Finger gruben sich tiefer in den Hals, in Fleisch und Sehnen hinein. Das Genick seines Feindes knackte unter seinem Griff. Gontas riss seinen Gegner hoch wie eine Puppe. Der Zauberer zappelte und zuckte hilflos mit den Beinen.
Gontas fletschte die Zähne. Er wusste, er konnte diesem Wurm den Hals so leicht zerquetschen, als wäre es eine überreife Banane. Er musste gegen den Drang ankämpfen, es einfach zu tun.
Sein Geist watete durch den hämmernden Kopfschmerz und durch den Nebel, der seine Sinne gefangen hielt. Doch er behielt seinen Verstand und rang seine Instinkte nieder, die Lust, den Feind hier und jetzt mit bloßen Händen zu erwürgen.
Er löste den Griff so weit, dass der andere atmen konnte.
Mit einem gequälten Pfeifen sog die dunkle Gestalt Luft in die Lungen, mit einem Wimmern atmete sie aus.
»Gib auf«, sagte Gontas. »Ruf deine Ungeheuer zurück.«
»Nein.« Der Zauberer würgte seine Worte hervor. »Verfluchter Söldner!«
Gontas zerrte die dürre Gestalt dichter zu sich heran. »Doch«, zischte er ihr ins Gesicht. »Tarukans letzter Zauberer hat geschrien, bevor er starb. Du wirst das nicht können. Aber du wirst es wollen, wenn du mich zwingst, dich zu töten!«
»Tarukan!«, stieß der Zauberer hervor. »Verfluchter Söldner. Er hat uns alle getötet, außer den Verrätern, die bereit waren, ihm zu dienen. Ich will meine Rache!«
Gontas stutzte. Die Gestalt, die er festhielt war dürr, schien fast bis auf die Knochen abgemagert zu sein. Das Gesicht unter der Kapuze war für Gontas’ benebelte Sinne nicht mehr als ein fahler Fleck. Aber die Stimme, so verzerrt und rau sie sich auch der geschundenen Kehle entrang, klang fast wie die einer Frau. Die Gestalt in seinem Griff war eine Hexe!
»Du dienst nicht Tarukan?«, fragte Gontas. »Dann beende den Kampf im Tal. Wir sind keine Söldner. Auch ich will mich an Tarukan rächen.«
Die Hexe gab ein gurgelndes Lachen von sich. »Wofür will ein Wilder wie du sich rächen?«
»Tarukan hat ein Mädchen entführt«, sagte Gontas. »Es stand unter meinem Schutz.«
Er spürte, wie die Hexe unter seinem Griff erschlaffte. Ein Augenblick der Stille folgte. Dann zischte sie: »Der Schlüssel!« Lauter fügte sie dann hinzu: »Gut, Barbar. Lass mich los. Ich werde die Steinbestien zähmen.«
Gontas überlegte. Er traute der Zauberin nicht, dennoch war er inzwischen davon überzeugt, dass sie auf derselben Seite standen. Und wie lang konnten seine Gefährten im Tal noch durchhalten, wenn er keinen Weg fand, die Steinkreaturen aufzuhalten? Womöglich war es schon zu spät. Es war ruhig geworden unter dem Nebel, und Gontas hörte keinen Kampfeslärm mehr.
Zögernd ließ er ihren Hals los, aber er blieb auf der Hut, um jederzeit wieder zuzupacken. Die Hexe trat an die Kante. Sie hob die Arme und sprach leise und abgehackt in das Tal hinein. Sie fasste sich an den Hals, räusperte
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