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Im Mondlicht (Phobos) (German Edition)

Im Mondlicht (Phobos) (German Edition)

Titel: Im Mondlicht (Phobos) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Schuck
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Pathologie wurde als nicht gesellschaftsfähig empfunden. Als Nora fünf Jahre alt war, erkrankte ihr Vater schwer. Eines dieser Mittel, mit denen die Leichen haltbar gemacht werden, begann seine Haut zu zerstören. Vielleicht griff es auch sein Gehirn an. Vater blieb zu Hause und verließ das elterliche Schlafzimmer wochenlang nicht. Ab und zu erhaschte Nora einen Blick auf diese völlig bandagierte Gestalt. Die Chemikalie zerstörte nicht nur die Haut und das Gehirn des Vaters, sondern auch die Beziehungen zu Hause. Mutter begann sich vor ihrem Mann zu ekeln.
    Dann begann ihr Vater nachts zu ihr zu kommen. Erst sprach er nur mit ihr. Er versuchte sie zur Vertrauten seines verpfuschten Lebens zu machen. Nora musste schwören, alles für sich zu behalten. Aber dann spürte er wohl, wie auch Nora sich zu ekeln begann. Es kam der Tag, an dem er sie festband.
    Als Nora dann aus der Anstalt nach Hause zurückkam, hielt ihr Vater sich von ihr fern. Nicht einmal ein halbes Jahr später trennten sich ihre Eltern. Ihr Vater zog aus. Er wurde nicht mehr erwähnt. Mutter sagte nichts, und Nora fragte nichts. Erst durch den Unfall mit 18 Jahren begegnete sie ihm wieder. Er arbeitete offenbar wieder in der Pathologie.
    Nora spürte Hände an ihrem Körper. Sie versuchte ihn abzulenken: "Wie hast du mich gefunden ?", brach es aus ihr heraus.
    "Ich wollte es so", antwortete der Weiße kurz. "Vielleicht lebe ich nicht mehr lange. Vielleicht will ich noch ein bisschen Lebenskraft aus dir heraussaugen."
    Er lachte wieder. Es blubberte und ächzte. Nora spürte, wie er sich über sie beugte und ihre Jeans zu öffnen begann.
    "Wollen doch ' mal sehen, ob noch alles da ist."
    Nackter Wahnsinn sprang in Nora hoch. Das durfte einfach nicht geschehen. Vor ihren Augen schien sich das puddingartig zerlaufende Gesicht ihres Vaters zu verdoppeln. Ein zweites weißes Rund löste sich von seinem Gesicht und erhob sich weit über ihn. Aus dessen Augen schien flüssiges Feuer zu fallen. Zwei starke Arme, an denen schwarzes Blut herab lief, hoben etwas dunkel Kantiges hoch über ihren Vater. Dann schmetterte das Harte, Kantige direkt auf seinen Kopf. Er schien zu explodieren. Weiße und blaue Flammenzungen schossen aus dem zerstörten Monitor und griffen auf seine ganze Gestalt über. Er fiel zu Boden und verendete in galvanischen Zuckungen. Rut Bordes fiel erschöpft über Nora. Sie begann in Ruts Blut geradezu zu schwimmen.
    Die Türe wurde aufgerissen und zwei Schwestern stürzten herein. 
     
    *****
     
    Einige Tage später hatte sich Nora in Ruts Wohnung eingenistet. Sie sah sich außerstande in ihr eigenes Haus zurückzukehren. Nicht, dass Nora im Augenblick völlig unglücklich gewesen wäre. Rut war deutlich auf dem Weg zur Besserung und das war ja wohl schon ein enormer Erfolg. Aber so vieles bedurfte noch der Aufklärung und verblieb bis dahin in unheimlichem Dunkel.
    Nora hatte es sich am Schreibtisch bequem gemacht. Ein freies, weißes Blatt wartete auf ihren kreativen Schub. Gerade bildete sich in ihrem Bewusstsein etwas wie eine Form heraus. Sie hob den Stift. Da schellte das Telefon.
    Nora beschloss, nicht abzuheben. Sie würde Rut überreden, das Telefon abzumelden. Sie würde einfach versuchen, ohne Telefon zu überleben.
    Sie senkte den Stift auf das Papier und begann zu malen. Irgendwann hörte das Telefon auf zu schellen.

Zwei Schiffe
     
    Durch den dunklen Himmel wirkte das Wasser des Meeres wie ein Ungeheuer mit vielen Köpfen. Seine unzähligen schwarz glänzenden Zungen schleckten in der zunehmenden Abenddämmerung am zerklüfteten Ufer. Die Luft roch nach Tang. Nebel kroch den Strand hinauf. Auf einer der kleinen Landzungen, die das Wasser aus dem Ufer gespült hatte, saß ein Wesen, nicht Frau, nicht Mann. Wie weit es überhaupt menschlich war, konnte man kaum erkennen, da sein Gesicht hinter den hohen Aufschlägen seines Kragens glatt verschwand. Immerhin, seine Figur wirkte menschlich, seine Hände allerdings eher wie Klauen.
    Sein Name war Ilein. Kühler Wind griff in sein dunkelblaues Kleid und blies ihm das eisgraue lange Haar um den Kopf, wobei man von Kopf kaum sprechen konnte. Um der Dämmerung zu begegnen hatte Ilein drei Talglichter aufgestellt. In dieses flackernde Dreieck hinein warf es immer wieder ein Handvoll Steine. Mit murmelnder Stimme kommentierte es jede Stellung. Offenbar hatten die Steine - jeder für sich -eine besondere Bedeutung in der Geschichte seines langen Lebens. Aber auch die Stellung

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