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Im Mondlicht (Phobos) (German Edition)

Im Mondlicht (Phobos) (German Edition)

Titel: Im Mondlicht (Phobos) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Schuck
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die Kühlerhaube, rammte quer in die Windschutzscheibe. Ein Regen von Glassplittern ergoss sich über Mark, der sich vor der näherkommenden Schranke in den Fußraum hatte fallen lassen. Quietschend verzogen sich die Türen. Unaufhaltsam wurde sein Wagen auf die Schienen gedrückt. Der Zug raste heran. Es gab einfach nichts, was ihn hätte aufhalten können. Das letzte, was Mark wahrnahm, war ein Inferno aus kreischendem Metall und einen blendenden Lichtblitz, als sein Tank explodierte. Schmerzen fühlte Mark nicht.
     
    *****
     
    Am nächsten Tag fand sich Nora wieder im Krankenhaus ein. Mochte ihre eigene Trauer noch so groß sein, ihre Freundin Rut wollte sie auf keinen Fall im Stich lassen. Ruts Zustand war fast unverändert. Immer wieder verlor sie Blut. Die Expansion der offenen Wunden schien sich zwar oberflächlich verlangsamt zu haben, dafür drang die Auflösung des Gewebes immer tiefer und machte anscheinend selbst vor den Knochen nicht halt. Immerhin: Rut konnte wieder ein bisschen sprechen.
    Nora war sich unsicher darüber, ob sie ihr von Bernds Tod erzählen sollte. Rut war zwar ihre Freundin, allerdings eine schwerkranke Freundin.
    Plötzlich fragte Rut überraschend deutlich: "Werde ich es schaffen?"
    "Es kommt darauf an", antwortete Nora.
    "Worauf?"
    "Ob ich ihn finde."
    "Hast du denn eine Ahnung?" , fragte Rut.
    "Ich habe mehr als eine Ahnung", brachte Nora hervor. "Es ist schon so etwas wie eine Erinnerung. Allerdings eine ausgesprochen schreckliche. Lei der bleibt sie unklar."
    Die beiden Frauen schwiegen. Bleierne Müdigkeit senkte sich über Nora, schärfte aber gleichzeitig Sinne in ihr, die das Alltagsbewusstsein nicht be sitzt. Das eintönige Piepen des Monitors, der Ruts Herzschlag mitzeichnete, führte sie unaufhaltsam in jene Gefühlsregion zurück, die sie in ihrem Wohnzimmer verlassen hatte.
    Das Gefühl des kleinen verletzten Kindes, vor allem die Bitterkeit des Kindes stieg jetzt in Nora auf. Wo waren jetzt alle die, die sie zu behüten hatten, die sie an guten Tagen kuschelten bis zum Überdruss? Wo waren die Engel, von denen die alte Tante Erna immer behauptete, sie hätten den ganzen Tag nichts anderes zu tun, als kleine Kinder zu beschützen? Irgendetwas legte sich über ihr Gesicht und Nora versank in einem roten Meer von Schmerzen. Nora versteinerte geradezu. Bis man sie in jenem Gartenhaus fand. Nora zeigte keine Regung mehr, ihr kindliches Lachen schien für immer verstummt. Dafür begann sie Dinge zu sehen, die niemand außer ihr sah. Als sie ihrem Vater davon erzählte, wurde er bleich. Sie hörte ihn später in der Diele mit der Mutter flüstern. Am nächsten Tag schon brachten sie Nora zu weißgekleideten Menschen. Viele Tage blieb sie dort. Die Weißen waren nett zu ihr. Sie brachten Nora das Lachen und das Weinen wieder bei. Sie übten mit ihr, die Dinge, die sie sah, zu malen. Sie sagten, diese Dinge seien gerade deshalb so schön und wertvoll, weil sie niemand anders sah. Später kehrte sie nach Hause zurück. Dieses schreckliche, gelbzähnige Monster sah sie nicht wieder. Da war sie sich sicher oder doch nicht? Der einzige Mann im Haus war ihr Vater. Manchmal allerdings bekam die Dunkelheit der Nacht harte Arme und griff nach ihr. Dann schrie sie. Aber in das Haus der Weißen ging sie nicht zurück. 
    Nora erzählte Rut alles, an was sie sich erinnerte. Die Krankenzimmergeräusche untermalten die Erzählung auf eine gespenstische Weise. Dann hatte Nora alles gesagt. Die Stille des Krankenzimmers siegte.
    Nora schrak zusammen, als sie Rut plötzlich fragen hörte: "Bist du ihm später noch einmal begegnet?"
    S iedendheiß stieg in Nora der Gedanke auf, dass sie ihm später noch einmal begegnet sein musste! Sie hatte es sich nicht eingestehen wollen. Aber sein detailliertes Wissen bezog sich auch auf sie als erwachsene Frau.
    "Es muss wohl so sein..." Nora hörte ihre eigene Stimme ganz schwach im Raum verklingen. Wie zufällig fiel ihr Blick auf die Türe des Krankenzimmers. Sie besaß eine dieser übergroßen Türklinken, die für den voll beladenen Pfleger oder die Pflegerin auch mit dem Ellbogen herunterzudrücken sind.
    Die Klinke senkte sich.
    Eine stählerne Klammer der Angst legte sich um Noras Herz. Unendlich lange brauchte die Klinke, um ihren Tiefpunkt zu erreichen. Noras Herz fiel in einen Brunnenschacht. Die Türe öffnete sich ganz langsam. Nora starrte wie hypnotisiert der weißen Gestalt entgegen, die sich durch die Türe schob .
    Was da in Weiß

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