Im Mondlicht (Phobos) (German Edition)
zueinander schien Gewicht zu haben, denn sie gab Ilein Auskunft über das, was war und das, was sein würde.
Als die ersten Nebelfetzen seine Landzunge erreichten, veränderte sich Ileins Stimme zunehmend. Es murmelte jetzt nicht mehr nur monoton und leise. Seine Stimme klang tiefer, kräftiger, eindrücklicher, fordernder. Es hörte auf, die Steine handweise zu werfen und begann, sie jetzt sorgsam zu setzen, Stein für Stein. Ilein suchte das Muster. Einundzwanzig Steine mussten zuletzt vor ihm liegen. Jeder einzelne zum Bersten gefüllt mit der Kraft intensivster Erlebnisse, der eiskalten Energie unauss prechlicher Lieblosigkeiten, dem verzehrenden Feuer heißer Lieben; den unsäglichen Abgründen des Verrates, den lichten Höhen unverbrüchlicher Treue; dem grellen Klirren von Sklavenketten, der modrig dumpfen Luft tiefer Verließe, sowie mit dem silbernen Flügelschlag kosmischer Weite und Freiheit.
Jeder Stein fand seinen Platz und Ilein sprach mit immer eindringlicher werdender Stimme die unsagbaren, verbotenen Worte in die einbrechende Nacht hinein. Nun teilte sich der Nebel und gab den Blick auf zwei Segelschiffe frei, die vom offenen Meer sich dem Strand wohl zu weit genähert hatten und nun versuchten, den sicheren Hafen anzulaufen, der allerdings noch ein gutes Stück Richtung Osten lag. Die weißen Segel bauschten sich im kühlen Abendwind vor den Rahen und ließen an wilde Vögel denken, die sich nach langem gefährlichem Flug ihrer Ruhestatt näherten.
Auf dem Segelschiff, das Ilein näher stand, erklang Musik. Viele Menschen bewegten sich über das Deck, einige schienen sogar zu tanzen. Freudig erregte Stimmen schallten über das Wasser. Ein Fest rauschte einher, das niemanden an Bord ungerührt ließ. Bunte Wimpel flatterten an den Mastspitzen, etliche sogar an den Rahen.
Wenn auch das zweite Schiff ebenfalls weiße Segel trug, herrschte auf ihm doch eine ungleich andere Stimmung. Kein einziges lebendes Wesen war an Deck zu erkennen. Vor dem Steuerhaus stand festgezurrt ein schwarzer Sarg. Und da er mit einigen Tauen zusätzlich ans Steuerhaus selbst gebunden war, sah es auf gespenstische Weise so aus, als lenke er das Schiff. Nur eine Flagge führte dieses Segelschiff. Ein riesiges schwarzes Tuch hing vom Hauptmast herab, so dick und schwer, dass selbst die steife Abendbrise es nicht zum Flattern bringen konnte.
Noch fünf Steine hielt Ilein in der Hand. Seine Stimme forderte, wurde immer schärfer und härter. Es setzte den siebzehnten Stein mit rascher Bewegung und präzise.
Das Schiff mit der schwarzen Flagge stand schräg hinter dem bunten Segler und etwas weiter vom Strand weg. Nun veränderte es beinahe unmerklich seinen Kurs und drehte etwas höher an den Wind. Und da es vorher etwas zurückgelegen hatte, kam es mit diesem leichten Steuermanöver auf Kollisionskurs mit seinem beschwingten Partner.
Noch trennte eine gute Kabellänge die nächtlichen Tänzer von dem schwarzen Sarg. Noch war keiner der Feiernden - und das waren inzwischen so gut wie alle, einschließlich der Mannschaft, der Offiziere und des Kapitäns - auf die neue Lage aufmerksam geworden.
Ilein setzte den achtzehnten Stein. Das entstehende Muster sah nun fast so aus wie ein Stern, ein fremder, großer Stern. Als Ilein seine Hand zurückzog, entsprang den mittleren Steinen eine giftig grüne Flamme und begann gierig das Muster zu umwittern.
Der Steuermann des Schiffes, auf dem gefeiert wurde, war vielleicht der einzige zu dieser Stunde, der den Vorgängen auf dem Wasser einige, wenn auch zunächst noch nicht ungeteilte Aufmerksamkeit schenkte. Als er nun aber die riesigen Nebelwehen gewahrte, die wie Eisberge vom Meer her das Schiff zu berennen begannen und er sich vergegenwärtigte, dass die Dunkelheit immer stärker zunahm, begann er zu fluchen und sich inbrünstig zu wünschen, endlich sicher in den Hafen einlaufen zu können. Der Kapitän feierte. Sicher war er schon wieder betrunken, wozu er, wie die ganze Mannschaft wusste, nicht unbedingt eine Feier benötigte. Da rauschte aus dem Nichts heraus eine Sturmböe heran und ließ das Schiff, das mit vollen Segeln lief, bis an die Reling steuerbords ins Wasser tauchen. Sofort nahm es schwer Wasser durch die geöffneten Luken und wurde merklich langsamer. Schreie ertönten, Menschen fielen übereinander, Lichter erloschen. Im Gefolge der Böe rollten Riesenwogen heran, rüttelten das Schiff durch bis zur letzten Planke und schmetterten die unglücklichen Menschen über
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