Im Mondlicht (Phobos) (German Edition)
schon einmal begegnet. Ich glaube, er kommt direkt aus der Hölle."
"Dann ist er bestimmt der Bankbeamte von nebenan", warf Efraine leichthin ein.
"Jedenfalls ist er eine tödliche Gefahr für dich."
"Was soll ich deiner Meinung nach tun?"
"Ich weiß es auch nicht", gab Kern ehrlicherweise zu.
"Wenn du gesagt hättest, nur ich kann dich retten oder ähnlichen Schmus, hätte ich dir kein Wort mehr geglaubt. Aber die Geschichte klingt auch so nicht sonderlich glaubwürdig."
"Ich habe noch nicht herausgefunden, wie ihm zu begegnen ist. Aber wenn ich es rausgefunden habe, kann ich dich anrufen?"
"Ist das ein blöder Trick, um an meine Telefonnummer zu kommen?"
"Nein!", sagte Kern einfach.
"Na gut! Hier ist meine Karte. Ruf mich an und rette mich!"
Sie lachte und verließ leichten Schrittes die Kneipe. Es war, als hätte der Wirt das Licht gelöscht. Alles ging wieder zum üblichen Trott und zu den üblichen unsinnigen, aber lärmenden Gesprächen über. Und irgendwie wurde es dunkler.
Kern hielt es nicht mehr viel länger in der verrauchten Umgebung aus. Er trat in die kühle Nacht hinaus.
Efraines Haus lag in einem der besseren Außenbezirke der Stadt. Ein hohes Haus wie das der Bilumés. Ein Haus, um sich kultiviert quälen zu lassen. Die Nacht war immer noch dunkel und feucht. Der Mond ließ flüssiges Silber auf die Erde fallen. Mehrere Zimmer des Hauses waren hell erleuchtet. Efraine war also bei der Arbeit.
*****
Derm-Ilein ging geradewegs durch das hochverzierte, schmiedeeiserne Gartentor hindurch, verließ aber dann den gepflasterten Weg zur Haustüre und trat auf den Rasen hinaus. Er umrundete das halbe Haus und betrat die Terrasse. Ohne jegliche Anstrengung drückte er die zweiflügelige Terrassentüre auf und durchschritt den wunderschön eingerichteten Raum. Er erreichte den Arbeitstrakt. Schließlich war er schon etliche Male hier gewesen, als er noch Dermatt war. Fünf Zimmer lagen um einen quadratischen Flur. Sein hypersensibles Gehör zeigte ihm an, dass nur ein Zimmer belegt war, und Derm-Ilein wusste auch, mit wem.
Aus dem Raum drangen infernalische Laute von Qual und Lust.
Norbert Schajder war der interessierten Öffentlichkeit vor allem durch markante politische Parolen bekannt geworden. Er hatte inzwischen eine bunte und beachtlich große Gefolgschaft um sich versammelt. Wie bei allen Populisten verzichteten seine öffentlichen Auftritte sowohl auf jede ernstzunehmende Perspektive wie auf jede ernstzunehmende Argumentation. So was stört ja auch nur den Redefluss. Er wendete sich viel lieber und mit Erfolg an die Emotionen all derer, die sich in der Republik beleidigt, vernachlässigt und betrogen vorkamen. Er tat das, indem er ihnen Popanze anbot und sie vor den Augen des begeisterten Publikums verbal abfackelte: Ausländer, Behinderte, Menschen mit anderen sexuellen Orientierungen als den üblichen. Er nannte sie "Perverse". Alle Menschen, deren Schicksal oder Entscheidung es war, anders zu sein, waren in seinen Reden: Perverse. Seine Anhänger setzten dann ab und zu, wenn sie besoffen genug waren, in die Tat um, was er in ihren Phantasien entfesselt hatte. Welcher Partei er angehörte, war eigentlich gar nicht wichtig. Er war sozusagen seine eigene Partei.
In seinem Privatleben dagegen verzichtete er nicht aufs Perverse, das er in seinen Reden so gerne geißelte. Er war Stammkunde bei Efraine, die mit ihrem hellen Outfit seiner verschwommenen Vorstellung vom arischen Urweib irgendwie nahekam.
Derm-Ilein drückte die verschlossene Doppeltüre unaufhaltsam, geradezu genüsslich auf. Es knirschte. Das Schloss wurde von den Schrauben gerissen und segelte wie ein Diskus mitten in den Raum.
Efraine hatte Schajder an eine Sprossenwand gefesselt. Dem lustvoll Gequälten verschloss eine geschlossene Ledermaske jeden Blick. Ganz in Ekstase schlug er den Kopf rechts und links gegen die Holzstäbe, nachdem Efraine offensichtlich gerade Gewichte an Stellen seines Körpers befestigt hatte, die hier nicht näher beschrieben werden müssen.
Efraine gab sich nicht mit dem üblichen Dominalook ab, mit Lederstiefeln, breiten Gürteln und Nieten überall. Sie trug vielmehr ein langes weißes Gewand und wirkte mit ihrer weißen Haut und ihrem weißen Haar wie eine unirdische, feenhafte Erscheinung. Über ihrem hellen Äußeren lag jener subtile Schimmer von Grausamkeit und unnachgiebiger Konsequenz, der allem Reinen und Ausschließlichen anhaftet.
Sie drehte den Kopf langsam zur Türe.
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