Im Mondlicht (Phobos) (German Edition)
ich will mich gar nicht beruhigen oder beruhigen lassen !", gab Georg zurück. "Dafür ist es mir zu wichtig. Ihr müsst das verstehen. Bei allem was geschah, war ich mir sicher, es musste so sein, so als hätte ich in einem vorigen Leben etwas vergessen, etwas Wichtiges unterlassen und bekäme jetzt die Chance, es nachzuholen."
Joan sah ihn skeptisch an: "Glaubst du an ein Leben vor dem Leben?"
Georg erwiderte: "Es hat nichts mit glauben zu tun. Ich habe erlebt, was ich erlebt habe , und ich versuche es gerade ein wenig zu sortieren. Ich war da, ich bin da, vielleicht bin ich immer noch da. Wie ein verfluchter alter Pirat, der seine vermoderten Schatzkisten nicht verlassen darf, weil ihn der Fluch eines sterbenden Opfers an den Ort bindet."
Georgs Stimme wurde immer leiser, er verschluckte sich und hustete keuchend. "Es geschieht alles gleichzeitig. Vergesst den Scheiß mit der Zeit! Die Zeit verge ht nicht, sie ist vielmehr das Einzige, was bleibt. Wir vergehen. Die Welt vergeht. Die Zeit bleibt. Nicht die Zeiger Uhr drehen sich. Wir drehen uns um die Zeit. Und wenn wir uns bei dieser Drehung an irgendetwas festhalten, dreht sich die Zeit weiter, und wir sind plötzlich in einer anderen Zeit. Wir schwanken dann zwischen damals und heute." Seine Stimme verlor sich.
Dann ging es weiter . Seine Stimme gewann wieder an Kraft: "Ich rannte mit den anderen durch die langen Gänge. Eigentlich war der Bunker unzerstörbar. Die Gefechtsstände konnten sogar die eigenen Eingänge beschießen, für den Fall, dass sich da einer zu schaffen machte. Zudem sicherten fest installierte MGs die Tore direkt. Außerdem hätten wir durch gesicherte Schächte Handgranaten auf die Eingangsplattformen rollen lassen können. Eigentlich waren wir relativ sicher.
Aber wir waren drin, eingesperrt , und die Deutschen waren draußen. Und es wenn dem Feind nicht einfällt, wie der Bunker zu knacken ist, fällt es den Eingeschlossenen bestimmt ein. In der eingeschlossenen Phantasie wird der Feind übermächtig. Seit Tagen hielten sich die Gerüchte, dass die Deutschen Azetylengas auf geheimnisvolle Weise in den Bunker leiten könnten. Und wenn sie das zündeten, würde es den Bunker glatt auseinander reißen, wie einen China-Kracher.
Wir rannten also wie die Wilden , und plötzlich rannte einer neben mir, der mir Angst machte. So ein giftiger, alter Typ. Einer dieser Scharfmacher aus unserem Dorf. Ihr müsst wissen, ich hatte eine Freundin drüben auf der deutschen Seite. Und er war einer der ersten, die mich dafür angeschissen haben: Kollaborateur! Aber was kann ich dafür, dass es Krieg gibt, was kann sie dafür? Haben wir den Krieg gemacht, wir, die kleinen Leute? Aber es hat nichts genützt. Es gibt einfach Menschen, die müssen andere fertigmachen. Mit dem Kriegsbeginn war es sowieso aus mit der deutschen Freundin. Wer weiß, was sie mitmachen musste bei ihren Landsleuten. Dieser Typ jedenfalls sah mich an, und ich konnte genau sehen, dass er nichts Gutes im Sinne hatte.
"Hast du etwa Angst vor mir?" , fragte er. Er wusste, dass ich Angst vor ihm hatte und das natürlich nicht zugeben durfte, und er genoss es. Wir rannten nebeneinander im gleichen Bunker, und es gab hunderterlei Arten, wie er mir schaden konnte. Man muss sich besonders in solch einer Situation aufeinander verlassen können. Wenn nicht, wird es unerträglich.
Ein Offizier fing uns ab. Die Lage begann sich gerade wieder zu beruhigen. Wir beide wurden zum Verladen an die Loren geschickt. Und da erwischte er mich. Er stand oben und ich unten. Als die Lore mit zehn Tonnen Granaten die Schräge hochgezogen wurde, löste er den Schnellverschluß. Die Lore überfuhr mich , und ihre Stahlräder zerschnitten mich der Länge nach in zwei Hälften."
"Wie schön, dass du trotzdem noch lebst!", ich konnte mir diese zynische Bemerkung nicht verkneifen.
"Ich starb", fuhr Georg ungerührt fort. "Ihr könnt mir glauben, so was geht gar nicht so schnell, wie man leicht meinen könnte. Nachdem sie mich durchtrennt hatte, rammte die Lore unten die Prellböcke, sprang aus den Schienen, aber sie kippte nicht um. Sonst hätte es eine allgemeine Katastrophe gegeben. Die Sanis trugen mich in den Totenkeller. Dort ist es immer sehr kalt."
"Konntest du das fühlen? " fragte Joan.
Georg bekam wieder dieses unstete Flackern in den Augen. Er sah gar nicht gut aus. "Ich kann es euch nicht anders sagen. Aber ich fühlte es in beiden Teilen."
"Fühltest du Schmerzen?"
Wenn ich heute an diese
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