Im Morgengrauen
aufgefallen. Vermutlich war ich zu deprimiert, um irgendetwas zu merken. Ich kann mich aber an ein anderes Mädchen erinnern, dessen Augen mir vor zwei Wochen noch sagten, dass sie mich wollen.“
Ich stieg auf meine Stute, um seinem durchbohrenden Blick zu entfliehen.
Schweigend trabten wir nebeneinander. Ich spürte, dass er mich ansah, und versuchte, nur nach vorne zu sehen. Wieso hatte ich ihn geweckt? Was hatte ich mir bloß dabei gedacht? Wäre ich doch allein geritten.
Wie üblich hielten wir am Fluss an, um die Pferde trinken zu lassen. Ich wollte wegen Yannick nicht zu spät zurückkommen. Als ich wieder aufsteigen wollte, spürte ich eine Hand auf meiner Schulter. Ich drehte mich um. Es sah ihm gar nicht ähnlich, mich so anzustarren.
„ Hör auf, mich so anzuschauen.“
„ Wie schaue ich dich denn an?“
„ Als ob du …“
Ich zögerte, den Satz zu Ende zu sprechen, er tat es für mich: „ … dich küssen wollte. Na ja … Das tue ich auch. Aber keine Sorge, ich werde es nicht tun. Darf ich dich wenigstens … in die Arme nehmen?“
„ Nein. Was würde das bringen?“
Ich wollte einen Schritt nach hinten machen, Aquila hinderte mich daran.
„ Nur ganz kurz.“ Dabei schloss er mich in seine Arme. „Ich möchte dich nur kurz riechen, kurz deinen Herzschlag spüren.“ Dieser war heftig.
„ Lass mich los! Hörst du?! Das führt zu gar nichts.“
„ Da irrst du dich. Es tröstet mich.“
Ich spürte seine Hand in meinem Haar, seine Lippen auf meiner Stirn.
„ Manuel Martinez, ich schwöre dir, wenn du mich nicht sofort loslässt, wird es das letzte Mal gewesen sein, dass wir zusammen allein waren“, drohte ich.
Mit Erfolg, denn er löste sofort seine Umarmung.
Die Rückkehr war genauso schweigsam wie der Ritt zum Fluss, nur die Spannung war größer. Erst als wir ankamen, fragte er zögerlich: „Du wirst wiederkommen, oder?“
„ Nicht allein.“
„ Ich habe dich losgelassen.“
„ Dieses Mal ja.“
Nun war ich diejenige, die ihn anstarrte, und zum ersten Mal wich er meinem Blick aus. Sobald Aquila gestriegelt war, ließ ich sie auf der Koppel laufen und ging, ohne mich von Manuel zu verabschieden.
Yannick, der mich von weitem gesehen hatte, kam mir entgegen. Seine leuchtenden blauen Augen besserten meine Stimmung sofort. Im Nu war Manuel vergessen.
„ Guten Morgen, schöne Reiterin!“
„ Guten Morgen, schöner Verführer!“
„ Du stinkst“, rümpfte er die Nase nach einem flüchtigen Kuss.
„ Ich stinke nicht, ich rieche nach Pferd. Es ist ein gewaltiger Unterschied. Aber keine Sorge, ich gehe sofort unter die Dusche. Warst du bereits einkaufen?“
War er, und zwar in Begleitung meiner Großmutter und Marie. Anscheinend hatten sie Melanie und Antoine getroffen. Mein Ex soll ihn taxiert haben, was ich mir nur schwer vorstellen konnte. Ich hatte Mühe zu glauben, der coole Antoine könnte sich Gedanken darüber machen, was ich so treibe. Er hatte es ja nicht einmal getan, als wir noch zusammen waren. Vermutlich war er nur erstaunt, dass mein frischgebackener Freund meine Familie rumkutschierte. Wir waren fast sechs Monate zusammen gewesen, und ich hatte ihn nicht einmal meinem Vater vorgestellt. Ich wollte ihn einfach vergessen.
Vielmehr interessierte mich, wie der Abend verlaufen war.
„ Super! Ich mag deinen Vater sehr. Wenn ich es mir recht überlege, mag ich deine ganze Familie: deine Großmutter, deine Schwester und dich … Dich liebe ich. Weißt du, dass du großes Glück hast, eine solche Familie zu haben?“
„ Ich weiß, es fehlt nur eine Person, damit das Glück vollkommen ist.“
„ Entschuldige, dass ich dich an sie erinnert habe.“
„ Schon okay! Ich gehe schnell unter die Dusche, du kannst mir dann im Wagen von eurem Abend erzählen.“
Er war gerade dabei, die Route im Internet zu studieren, als ich frisch geduscht mein Zimmer betrat. Ich wollte jetzt los.
„ Gleich bin ich so weit“, meinte er, die Augen auf den Bildschirm geheftet.
Erst nachdem er den Computer heruntergefahren hatte, drehte er den Kopf zu mir und schaute mich verblüfft an.
„ Wow! Du bist so sexy in diesem Kleid … Noch mehr als in meinem Hemd.“
Seine Augen zogen mich regelrecht aus, während er sich näherte. Ich lief rückwärts zur Tür, um sie zu schließen. Mein Herz machte Sätze in meiner Brust und meine Beine fingen an, weich zu werden, als würde er mich zum ersten Mal so ansehen. Vielleicht tat er das auch. Ich fühlte, wie Hitze in
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