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Im Morgengrauen

Im Morgengrauen

Titel: Im Morgengrauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Béchar
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diesem Tag ebenfalls gestorben.“
    „ Ich bezweifle, dass er überhaupt eingeschritten wäre, wenn er von Anfang an gewusst hätte, was sie waren.“
    Es reichte mir. Tränenüberströmt rannte ich nach Hause, warf mich aufs Bett und vergrub mein Gesicht im Kopfkissen. Bald klopfte jemand an der Tür. Obwohl ich keinen bat einzutreten, konnte ich spüren, wie sich jemand vorsichtig auf die Bettkante setzte. Yannick.
    „ Lilly … schau mich bitte an.“
    Ich hob den Kopf und beschwor ihn, mir zu sagen, dass er nicht für den Tod meines Großvaters verantwortlich sei.
    „ Hat sie das behauptet?!“
    Seine Empörung schien so groß zu sein, dass ich seine Hand nahm.
    „ Hat sie nicht. Wer war Bernard?“
    „ Mein Vater.“
    „ Ist er auch an dem Tag gestorben?“
    „ Zwei Tage später, an den Folgen seiner Verletzungen.“
    „ Hat er meinen Großvater getötet?“
    „ Ja, es war aber mehr oder weniger ein Unfall … oder besser gesagt ein Missverständnis. Ein Wolf hatte gerade meinen Vater schwer verletzt. Als dein Großvater ebenfalls in Wolfsgestalt einen Satz in seine Richtung machte, um ihm zu Hilfe zu kommen, hielt er ihn für eine Bedrohung und schoss auf ihn. Bevor er starb, konnte sich dein Großvater zurückverwandeln. Er bat ihn, die Kinder vom Internat zu schützen. Zum ersten Mal hörte mein Vater das Wort
Therianthrop
. Er hatte keine Ahnung, dass es andere Gestaltwandler als Wölfe gibt. Er erzählte es an dem Tag auch keinem Jäger, aus Angst, sie könnten etwas Unüberlegtes tun. Die Leiterin der Schule versprach ihm, die Region mit den Kindern zu verlassen und nie wieder zurückzukehren. Sie wurden ein Stück von ahnungslosen Jägern eskortiert. Jeremy und ich sind bei meinem Vater geblieben, denn er musste ins Krankenhaus. Erst am nächsten Tag haben wir erfahren, was wirklich geschehen war.“
    „ Wieso hast du mir nicht die Wahrheit gesagt?“
    „ Meinst du wirklich, ich wäre hier, wenn du gewusst hättest, dass mein Vater für den Tod deines Großvaters verantwortlich ist? Oder wenn deine Großmutter früher erfahren hätte, wer ich bin?“
    „ Wahrscheinlich nicht. Du hast Recht.“
    „ Ich wollte dir nichts verheimlichen, Lilly. Ich hatte nur Angst, dich zu verlieren. Kannst du dir überhaupt vorstellen, was in mir vorgegangen ist, als ich dich zum ersten Mal nach Hause gefahren habe und mir klar wurde, WAS du bist, aber vor allem, WER du bist? Nämlich die Enkeltochter eines Mannes, der von meinem eigenen Vater getötet wurde.“
    Ich hatte in der Tat eine vage Vorstellung davon, wie er sich gefühlt haben musste. Ich konnte sogar Verständnis für sein damaliges Verhalten aufbringen.
    Ganz anders für Anna, denn es war bereits das zweite Mal, dass Jäger beziehungsweise Angehörige der Familie Lambert – und speziell Yannick – Gestaltwandlern zu Hilfe kamen. Wie konnte Anna darüber hinwegsehen? Sie ignorierte sogar die Tatsache, dass Yannick und sein Bruder womöglich Manuels Leben gerettet hatten.
    Es klopfte noch einmal an der Tür. Der Kopf meiner Großmutter erschien. Sie wollte sich vergewissern, dass mit mir beziehungsweise zwischen Yannick und mir alles in Ordnung war. Nachdem sie sich davon überzeugt hatte, schickte sie mich ins Badezimmer, angeblich, damit ich mich erfrischen konnte, ehe mein Vater nach Hause kam. Von wegen! Sie wollte mit Yannick über den besagten Tag sprechen, den Tag, der ihrem Ehemann das Leben gekostet hatte. Als ich vom Duschen zurückkam, erzählte mir Yannick, meine Großmutter hätte Anna einigermaßen besänftigen können. Sie wünschte, ich würde sie an dem Abend noch einmal zu Anna begleiten, damit wir uns aussprechen konnten.
    Ich lief hinunter, um den Tisch zu decken und meiner Großmutter bei den Vorbereitungen fürs Abendessen zur Hand zu gehen. Yannick befand sich immer noch im ersten Stock, als mein Vater von der Arbeit zurückkam. Prompt erkundigte sich dieser über dessen Verbleib und war sichtlich erfreut zu hören, dass mein Freund gerade duschte – und offensichtlich ohne seine liebe Tochter. Wenigstens einer, der sich darüber freute, dass es kein Befummeln im Badezimmer gab.
    Es verstrich nicht viel Zeit, bis Yannick sich zu uns gesellte. Es war seltsam zu hören, wie er meinen Vater beim Vornamen nannte, als er ihn grüßte. Während er am Vortag in seiner Anwesenheit jeglichen Körperkontakt zwischen uns vermieden hatte, küsste er mich flüchtig auf den Mund, nahm neben mir Platz und griff sofort nach meiner

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