Im Morgengrauen
Denkst du, ich wollte dich nur herauslocken?“
Beschämt, dass ich dies tatsächlich angenommen hatte, ging ich zum Lincoln und holte einen Umschlag raus, auf dem
Lilly
stand. Ich blickte zu Yannick, ehe ich ihn aufmachte. Seine Augen leuchteten: Er schien sehr gespannt auf meine Reaktion zu sein. Kaum hatte ich die Zeilen auf der selbst gebastelten Karte mit dem Eifelturm gelesen, warf ich mich an seinen Hals. Die Freude war so groß, dass mich die Anwesenheit meines Vaters kein bisschen kümmerte. Meine kleine Schwester, wie immer äußerst neugierig, riss mir die Karte aus der Hand, um sie laut vorzulesen.
„ Gutschein für eine Woche Paris mit einer Person deiner Wahl. Mit Verlängerungsoption. Bitte so schnell wie möglich einlösen!“
Mein Vater schluckte kommentarlos die bittere Pille. An seinem Gesichtsausdruck konnte ich sehen, dass er nichts davon geahnt hatte. Ich hätte jedoch wetten können, dass meine Großmutter eingeweiht war.
Jemand hatte in der Zwischenzeit unauffällig ein kleines Geschenk auf meinem Teller platziert: eine Goldkette. Ein Blick zu meinem Vater bestätigte mir, dass sie von ihm war, worauf ich ihn noch einmal umarmte.
Während des Frühstücks erzählten sie mir, dass Yannick ihn begleitet hatte, um den Wagen zu kaufen. Papa hätte das Auto am liebsten in Rot genommen, Yannick meinte jedoch, eine unauffälligere Farbe würde mir besser gefallen. Das graue hatte ohnehin weniger Kilometer auf dem Tacho. Mein Freund war damit nach Hause gefahren, beziehungsweise zu den Martinez, um es dort zu verstecken. Allein aus diesem Grund mussten mich Manuel und Aurelie hinhalten. Yannick hatte befürchtet, ich könnte sehen, wie er hinter dem Steuer des Clios ankam. Am Morgen meines Geburtstags sollte er dafür sorgen, dass ich lange genug auf meinem Zimmer blieb, damit mein Vater den Wagen unbeobachtet vor unserer Haustür parken konnte. Also verdankte ich die lang ersehnte Nacht in den Armen meines Freundes meinem Papa, denn pragmatisch wie er war, dachte Yannick, die beste Möglichkeit mich daran zu hindern, früh runterzugehen, bestand darin, die Nacht bei mir zu verbringen.
Marie war ebenfalls eingeweiht gewesen. Sie schenkte mir einen Gutschein für einen
„Autoputz“,
Reinigung des Innenraums inklusive.
Nach dem Frühstück machten wir eine kurze Probefahrt: einmal durch das Dorf und wieder zurück. Ich hatte es eilig, nach Hause zu kommen … Schließlich hatte mir Yannick eröffnet, er wollte auch etwas auspacken. Doch auf dem Zimmer war er nicht mehr wählerisch in Bezug auf die Verpackung, denn er ließ mir gar keine Gelegenheit, die Dessous anzuziehen.
„ So ein Mist! Das Auspacken müssen wir auf heute Abend verschieben“, flüsterte ich später.
„ Ich bin untröstlich.“
„ Du hättest mir keine größere Freude machen können als mit Paris.“
„ Habe ich gemerkt. Ich dachte, wenn ich es als Geburtstagsgeschenk präsentiere, kann dein Vater nichts dagegen einwenden. So wirst du sehen, wo ich wohne, und natürlich, wo du wohnen wirst, falls du zu mir ziehst. Ich muss dich trotzdem warnen, auf mich wartet erstmal Arbeit, wenn ich ankomme. Seit ich aus Amerika zurück bin, habe ich nur wenige Tage in meiner Wohnung verbracht. Sie ist nicht gerade in einem Topzustand. Gregory, der Freund, dem ich sie untervermietet habe, hat mir zwar versichert, alles wäre jetzt sauber. Wenn er selber geputzt hat, garantiere ich aber für nichts. Von dem abgesehen gibt es zirka viertausend CDs hochzuschleppen und einzuräumen.“
„ Viertausend?“, wiederholte ich verdattert.
„ Vielleicht mehr, vielleicht weniger. Keine Ahnung, ich habe sie nie gezählt. Ich wollte mal anfangen, sie zu katalogisieren, habe es aber aufgegeben. Nur keine Sorge, Greg wird mir helfen. Es war schließlich seine Idee, sie in den Keller zu verfrachten. Er bringt ständig viele Leute mit nach Hause und wollte nicht die Verantwortung dafür tragen.“
„ Ich kann auch helfen.“
„ Es kommt nicht infrage. Schönes Geburtstagsgeschenk: eine Woche aufräumen und putzen in Paris.“
„ Zu dritt werden wir schneller fertig, und dann hast du mehr Zeit für mich.“
„ Mal abwarten! Noch wissen wir gar nicht, was uns erwartet.“
„ Dieser Gregory … wird er die ganze Zeit da sein?“
„ Keine Sorge, ein bis zwei Tage, je nachdem, wie es da aussieht, dann schmeiß’ ich ihn raus.“
„ Du bist mir ein schöner Freund.“
„ Eben! Wir sind so gute Freunde, dass er verschwindet, damit ich
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