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Im Morgengrauen

Im Morgengrauen

Titel: Im Morgengrauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Béchar
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Abend Musik haben, ohne dass sich jemand darum kümmern müsste. Mir kam der Gedanke, dass Yannick in den letzten Tagen nichts anderes getan hatte, als Musik auf unsere Geräte aufzunehmen, während ich Reiten war. Und ich hatte ihm vorgeworfen, er hätte keine Lust, mich zu begleiten. Mit Gewissensbissen setzte ich mich auf seinen Schoß. Ein bisschen Ablenkung schien ihn nicht zu stören, ganz im Gegenteil. Wenn man seiner Körpersprache Glauben schenkte, war sie ganz und gar willkommen. Wir brauchten nicht lang, um in Fahrt zu kommen, und waren äußerst erregt, als Marie reinplatzte. Außer Atem rief sie: „Lilly, komm runter. Du wirst nie raten, wer gerade gekommen ist.“
    „ Kein Wunder, dass ich ein solches Verlangen nach dir habe, bei allen diesen Unterbrechungen“, flüsterte Yannick, während er mich am Hals küsste. Widerwillig stand ich mit Gänsehaut und Grimasse auf und folgte meiner Schwester, Yannick auf den Fersen.
    Ich hatte so eine Ahnung, wer der Besucher sein könnte, und beschleunigte meinen Schritt, als ich die Stimme tatsächlich erkannte.
    „ Laurence!“, rief ich und warf mich an ihren Hals.
    Sie war größer, als meine Mutter es gewesen war, nicht so drahtig und so schmal, vor allem im Gesicht nicht, doch obwohl sie viel mehr von ihrem Vater hatte, konnte man eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den Schwestern nicht abstreiten.
    „ Oh, Lilly! Lass dich anschauen! Bist du hübsch geworden! Alles Gute zum Geburtstag!“
    Dann wandte sie ihren Blick von mir ab und heftete ihn auf Yannick, der sich im Hintergrund hielt. Ich wollte sie miteinander bekannt machen, sie kam mir aber zuvor.
    „ Yannick Lambert! Du erlaubst doch, dass ich dich duze“, fragte sie rhetorisch, als sie ihm die Hand reichte. „Ich weiß nicht, ob du dich an mich erinnern kannst, es sind schon fünf Jahre her …“
    „ Sechs“, verbesserte er sie. „Ich hab’s nicht vergessen.“
    „ Natürlich nicht. Wie könntest du!“ sagte sie, während sie mit dem Finger über seine Narbe fuhr. „Ich hatte noch nie die Gelegenheit, mich bei dir zu bedanken, für das, was du an diesem Tag getan hast. Es hat mich sehr getroffen, vom Tod deines Vaters zu hören.“
    „ Und mich von Ihrem … deinem“, verbesserte er sich sichtlich verlegen. „Es war …“
    „ Lassen wir das“, unterbrach sie ihn.
    Gut so, denn mein Vater musterte die beiden, als kämen sie von einem anderen Stern. Plötzlich drehte sich Laurence um.
    „ Entschuldigung. Wo bleibt mein Benehmen? Darf ich euch meinen Freund Philippe und seinen Sohn Damien vorstellen?“
    Philippe, ein großer Mann afrikanischer Abstammung mit breiten Schultern und kurzem Haarschnitt, begrüßte mich mit einem breiten Lächeln. Sein Handschlag war fest und aufrichtig. Er trug einen schmalen Bart, eigentlich eher ein Strich, der sein kantiges Gesicht unterstrich. Er musste Ende vierzig sein.
    „ Ich freue mich, dich kennenzulernen, Lilly. Ich habe schon sehr viel von dir gehört, und selbstverständlich wünsche ich dir alles Gute zum Geburtstag“, fügte er hinzu, ehe er mich auf die Wangen küsste.
    Sein Sohn erinnerte mich ein bisschen an Manuel, wahrscheinlich wegen der Größe und den Haaren, die fast gleich lang waren. Natürlich hatte er nicht seine schönen glänzenden Locken. Er trug schwarze Rasta-Zöpfe mit blonden Strähnen. Seine freie Stirn brachte seine großen dunklen Augen zur Geltung, während die von Manuel kaum zu sehen waren. Selbst seine Gesichtszüge erinnerten mich an meinen besten Freund, nur die Lippen waren voller. Sein Teint glich ebenfalls dem Manuels, vielleicht war er sogar heller. Seine Mutter musste eine Weiße sein. Wieso hatte ich das Bedürfnis, jeden jungen Mann, der in mein Leben trat, mit Manuel zu vergleichen? Trotz der physischen Ähnlichkeit waren sie ohnehin wie Tag und Nacht. Manuel war ein richtiger Strahlemann, während Damien mich unergründlich anstarrte. Weder sein ausdrucksloses Gesicht noch sein Händedruck verrieten irgendetwas über seine Gemütsverfassung. Ungewöhnlich für einen Therianthropen. Denn dessen war ich mir sicher: Er war einer von uns. Konnte sich ein Gestaltwandler vor einem anderen verstecken oder verstellen? Konnte sich Damien abschirmen? Oder hatte ich ihn nicht gespürt, weil ich mich zu sehr auf seine starren Augen konzentriert hatte. Ich mochte die Art nicht, wie er mich anschaute. Wortkarg war er auch noch. Außer um guten Tag zu sagen, kriegte er seine Zähne nicht auseinander.
    Mein Vater

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