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Im Morgengrauen

Im Morgengrauen

Titel: Im Morgengrauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Béchar
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Dein Vater hat angerufen, ich soll dich an deinen Zug erinnern.“
    Obwohl er mir den Weg versperrte, griff ich demonstrativ nach der Klinke. Lässig lehnte sich Damien gegen die Tür und bohrte seine Augen in meine. Mein Herz pochte immer schneller.
    „ Es kommt gar nicht infrage, dass ich dich allein lasse.“
    „ Ich bin nicht allein“, konterte ich.
    „ Du weißt, was ich meine. Ich gehe nicht fort, solange mein Vater und die anderen nicht zurück sind.“
    „ Mir passiert schon nichts. Heute Nacht sind sie wieder da.“
    „ Wer weiß schon, wie sich die Dinge bis dahin entwickeln? Du brauchst gar nicht zu diskutieren, es wird nichts nützen. Ich habe meine Mutter bereits benachrichtigt.“
    „ Immer so dickköpfig?“
    „ Immer.“
    „ Du kümmerst dich einen Dreck um das, was die anderen möchten, oder?“
    „ Würde ich nicht so sagen. Ab und zu halte ich schon meine Instinkte in Schach. Für heute Morgen muss ich mich aber entschuldigen. Es war nicht meine Absicht, ich bin einfach zum falschen Zeitpunkt gekommen.“
    Ich lachte höhnisch: „Falsch für wen?“
    „ Für dich.“ Hatte ich da etwa ein Lächeln gesehen?
    „ Du hättest rausgehen können … oder dich umdrehen.“
    „ Hätte ich machen können. Tat ich aber nicht. Falls es dich beruhigt, ich habe nicht viel gesehen.“ Wieder war dieses Grinsen in seinem Gesicht.
    „ Das war aber nicht dein Verdienst. Erlaubst du? Ich muss raus. Aurelie wartet bestimmt schon auf mich.“
    „ Lilly …“ Blitzschnell zog ich meinen Arm zurück, als ob seine Berührung mein Handgelenk verbrannt hätte. „Hast du etwa Angst vor mir?“
    Hatte ich das? Irgendwie schon … und doch nicht. „Angst ist es nicht, du bist mir aber unheimlich. Ich werde nicht schlau aus dir. Ich weiß nicht … Vergiss es! Würdest du mich bitte auf Seite gehen?“
    „ Du bist mir auch ein Rätsel. Somit sind wir quitt.“
    „ Oh nein! Das kann man nicht vergleichen. Ich habe dich weder gedemütigt noch eingeschüchtert.“
    Ein Kloß steckte mir in der Kehle, mein Herz raste immer schneller, ich drückte auf die Klinke, aber die zweihundert Pfund Körpermasse bewegten sich keinen Millimeter.
    „ Ich finde es schon traurig, dass du es demütigend findest, dich vor deinesgleichen zu verwandeln.“ Von Betrübtheit keine Spur in seiner Stimme, ich vernahm nur Spott. „Du solltest wirklich ein bisschen Zeit in unserer Gesellschaft verbringen, um zu lernen, damit umzugehen. Akzeptiere deine Gabe, statt sie zu verfluchen. Was das Einschüchtern betrifft, ich bin mir sicher, du würdest dich in meiner Gegenwart wohler fühlen, wenn ich dich berühren dürfte.“
    „ Könnte dir so passen! Fass mich ja nicht an! Lass mich bitte durch!“
    „ Wovor hast du Angst? Fürchtest du, du könntest etwas Neues entdecken … es womöglich genießen, und später vermissen?“ Seine Stimme wurde leiser. Sein Kopf kam näher. Er sog meinen Duft tief in sich hinein. „Ich rieche deine Neugier und dein Verlangen, Lilly. Mir kannst du nichts vormachen.“
    Ich glühte vor Wut. „Du spinnst ja!“
    „ Wenn du wirklich rauswolltest, wärst du schon längst aus dem Fenster gesprungen.“ Er hatte wieder diesen spöttischen Ton in seiner Stimme.
    „ Ja klar! An einem Sonntagnachmittag! Mit den vielen Fremden auf dem Gelände?“
    Verdammter Kerl! Was der sich rausnahm! Entrüstet ging ich zum Fenster und riss es auf. Damien schaute amüsiert zu. Entweder war er der Meinung, ich würde bluffen, oder er freute sich über die bevorstehende Verwandlung. Wenn er meinte, er würde sich gleich an meinem nackten Körper ergötzen können, hatte er sich getäuscht, denn ich würde in Kürze unter meiner Kleidung schmelzen. Da gäbe es nicht viel zu sehen. Mit brodelndem Blut hoffte ich, die Metamorphose möge schnell über die Bühne gehen.
    „ Du kannst nachher meine Klamotten zur Veranda bringen“, zischte ich und funkelte ihn böse an.
    Ich hätte viel gegeben, um Zeuge seiner Enttäuschung zu sein, ich konnte ihn aber nicht ansehen. Ich wollte nur noch eins: schnellstens davonfliegen. Was ich auch tat.
    Ich zog einen Halbkreis über unserem Haus und dann wieder über dem Pferdehof. Damien hielt sich am Fenster und schaute mir zu. Aurelie, die inzwischen angekommen war, sattelte gerade Paco und unterhielt sich währenddessen mit Anna. Erleichtert, dass weder mein Vater noch Marie draußen waren, machte ich einen Bogen, um auf der linken Seite unseres Hauses zu landen. Mit pochender Brust und

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