Im Morgengrauen
dein Zimmer schleicht. Es ist also unnötig, dass der arme Kerl weiterhin in aller Frühe aufsteht, um den Schein zu wahren. Schließlich hat er Urlaub.“
Sein Mund verzog sich zu einem breiten Grinsen, das ich ihm kommentarlos zurückschenkte. Wenn er wüsste, dass sein Verbot uns womöglich das Leben gerettet hatte. Wäre Yannick nicht in aller Frühe aufgestanden, hätte er die Wölfe nicht gesehen. Gut, dass er mir gar keine Gelegenheit gelassen hatte, nach der Party die Fensterläden zu schließen. Meine Mutter und ihre Phobien kamen wir wieder in den Sinn. Wahrscheinlich hatte sie ein Fenster nicht nur als Fluchtweg, sondern auch als Überwachungsposten betrachtet. Ich konnte mich immer besser in sie hineinversetzen und schwor mir, nie wieder einen Fensterladen zu schließen.
Irgendwann riss mich mein Vater aus den Gedanken. Er schien nach wie vor unsicher zu sein, wie er es anpacken sollte, dabei hätte ihm meine geistige Abwesenheit zur Genüge Zeit geben sollen, den nächsten Satz in seinem Kopf zu formulieren.
„ Das Wichtigste, das ich bisher noch nicht gesagt habe, ist, dass ich mich freue. Ich freue mich, dass du jemanden gefunden hast, der dich glücklich macht. Ich freue mich, dass du wieder so strahlen kannst. Schon aus diesem Grund mag ich Yannick. Sollte er dich aber jemals verletzen, kriegt er es mit mir zu tun.“
Ich stürzte mich in seinen Arme und drückte ihm einen Kuss auf die Wange: „Das wird er nicht. Das spüre ich.“
Ehe ich an diesem Nachmittag zum Pferdestall zurückging, versuchte ich Yannick und Manuel zu erreichen. Vergeblich, beide Handys waren aus. Als ich dann unseren Garten durchquerte, hätte ich schwören können, dass sich etwas hinter Manuels Fenster bewegt hatte. Wurde ich etwa von Damien beobachtet? Da Aurelie noch nicht da war, bewegte ich mich zielstrebig zum Haus. Nicht dass ich erpicht darauf war, Damien gegenüberzustehen, ganz im Gegenteil. Aber je eher ich mich bei diesem … – was weiß ich, wie ich ihn nennen sollte – bedankt hatte, umso besser. Ich wollte es einfach hinter mir haben. Vor der Veranda holte ich tief Luft, überlegte, womit ich anfangen sollte. Ich würde es kurz und schmerzlos machen, etwa so:
Danke für alles und Tschüss. Übrigens, ich soll dich an deinen Zug erinnern
. Genau, den Zug bloß nicht vergessen. Wenn er einmal weg wäre, bräuchte ich diese Blicke nicht mehr zu ertragen.
Kein Damien in Sicht. Verflucht! Er hätte mir entgegenkommen können. Schließlich hatte er ja gesehen, wie ich zum Haus lief. Allerdings konnte er nicht erahnen, dass ich ausgerechnet zu ihm wollte – nach der Ohrfeige. Meine Entschlossenheit schwand dahin und mir wurde auf einmal ganz mulmig. Es widerstrebte mir regelrecht, da hochzugehen. Wohl wissend dass Miguel jeden Nachmittag eine Siesta hielt, konnte ich schlecht laut nach Damien rufen. Zögerlich stieg ich eine Stufe nach der anderen hinauf. Auf halben Weg sah ich, dass Manuels Zimmer offen war. Offen und leer, wie sich herausstellte. Aber ich hatte nicht geträumt, Damien war vor kurzem da gewesen. Ich musste nicht einmal Katze sein, um ihn zu wittern. Dieser Geruch hatte so an mir geklebt, ich hatte schier eine ganze Flasche Duschgel gebraucht, um ihn wieder loszuwerden. Wohl oder übel ging ich zum ersten Gästezimmer und klopfte an der Tür.
„ Komm rein!“
Der Druck in meiner Brust wurde stärker. Ich war nervös und hatte das Gefühl, ich würde mich gleich in die Höhle des Löwen begeben. Dass es sich dabei um einen Leoparden handelte, machte das Ganze nur noch schlimmer. Nach allem, was geschehen war, verspürte ich keinerlei Lust, allein mit ihm in einem Raum zu sein. Unentschlossen machte ich zwei Schritte in das Zimmer. Er lag mit nacktem Oberkörper auf dem Bett. Die Arme hinter dem Kopf verschränkt, stellte er seine Muskeln zur Schau. Sie waren noch ausgeprägter als die von Manuel, als würde er trainieren.
Ohne mich anzugucken, bat er mich, die Tür zuzumachen.
Statt seiner Bitte nachzugeben, erwiderte ich: „Ich gehe gleich wieder, ich wollte mich nur für heute Morgen bedanken.“
Wortlos stand er auf, um die Tür selbst zu schließen. Zu meinem Entsetzen blieb er dicht hinter mir stehen. Als hätte er mein Unbehagen gespürt, erklärte er: „Miguel schläft. Du brauchst dich nicht zu bedanken, das hättest du auch für mich getan.“
„ Klar.“ Hätte ich das tatsächlich? Vermutlich wäre ich dessen gar nicht in der Lage gewesen „Trotzdem vielen Dank!
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