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Im Morgengrauen

Im Morgengrauen

Titel: Im Morgengrauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Béchar
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auf einen Baum. Geschützt von seinem Laub spähte ich im Wald nach meinen Verfolgern.
    Ich brauchte nicht lange, um sie zu entdecken. Gleich würden sie meine Kleider erreichen. Sie schienen nicht überrascht zu sein, meine Anziehsachen auf dem Waldboden vorzufinden. Lachend und mit sich zufrieden fotografierten sie ihren Fund. Entsetzt musste ich dann mit ansehen, wie sie meine persönliche Habe mitnahmen. Eigentlich hatte ich an Ort und Stelle meine menschliche Form wieder annehmen wollen. Nun war meine Bekleidung verschwunden. Das einzig Gute: Sie hatten die Verfolgung eingestellt.
    Mir blieb nichts anderes übrig als nach Hause zu fliegen. Wie ich so über den Bäumen schwebte, war mir zum Weinen zumute. Ich hatte Vögel immer für freie Wesen gehalten und konnte in diesem Augenblick nicht einmal die Aussicht genießen, geschweige denn das Gefühl von Freiheit. Denn ich segelte nicht aus freiem Stück in der Luft. Bangen und Hoffnung kollidierten in meinem Kopf. Konnte ich unbemerkt in das Haus meiner Großmutter gelangen? Sie hatte die Angewohnheit, um die Mittagszeit alles zu verschließen, damit die Hitze nicht ins Haus eindringen konnte.
    Ein Überflug bestätigte mir, es war an diesem Tag nicht anders. Wieso sollte ich auch Glück haben? Ich beschloss, geduldig auf dem Dach zu warten, bis eine Öffnung mir Unterschlupf gewährte.
    Plötzlich gefror mir das Blut in den Adern: die Autos meiner Verfolger. War das nur Zufall oder kamen sie tatsächlich hierher? Wieso beschlich mich das seltsame Gefühl, sie warteten auf meine Rückkehr? Den Stein im Schnabel flog ich zu Yannicks Wohnung. Ich glaubte, mich an eine offene Dachluke zu erinnern. Hoffentlich hatte Yannick sie vor seiner Abreise nicht geschlossen! Ich betete, der Wohnungsschlüssel möge sich immer noch unter der Fußmatte befinden.
    Ausnahmsweise schien das Glück auf meiner Seite zu sein. Ich flog durch das offene Fenster in den verstaubten Speicher und legte meinen Talisman auf den Boden. Geneigt, ihn einzusetzen, um meine menschliche Gestalt wieder anzunehmen, beschloss ich, es zunächst mit reiner Willenskraft zu versuchen. Ich versuchte mir alles wieder ins Gedächtnis zu rufen, was vor den Verwandlungen geschehen war. Ich kam zu dem Schluss, dass ich nichts anderes getan hatte, als mir etwas innig zu wünschen.
Wenn du es willst, kannst du es auch
, sagte meine Mutter, als ich klein war.
    Mit geschlossenen Augen versuchte ich, mich auf die junge Frau zu konzentrieren, die ich war, und betete und betete. Ich wollte gerade aufgeben, als ich die Hitze spürte. Es juckte am ganzen Körper. Als meine Gliedmaßen dicker und länger wurden, tat es sogar weh. Der Anblick der Wandlung meiner Flügel faszinierte mich. Ich fand es total irre zu sehen, wie die Finger unter den schwarzen Spitzen meiner Federn hervortraten, während diese sich zurückzogen. Als sie nicht mehr zu sehen waren, musste ich spontan meinen Arm streicheln, da wo die letzten Federn verschwunden waren. Ich konnte gar nicht fassen, dass ich beim Berühren meiner Haut nichts mehr spüren konnte. Sie war zart wie eh und je. Von der Verwandlung meiner Arme völlig gefesselt, hatte ich die anderen Veränderungen meines Körpers gar nicht wahrgenommen. Ein kurzer Blick bestätigte mir, dass alles wieder am richtigen Platz saß. Zu meiner Erleichterung war mir eine weitere schmerzhafte Verrenkung erspart geblieben. Gespannt schwenkte ich meine Arme hin und her, um zu testen, ob alles beim Alten war. Ich tastete Gesicht und Haare ab und begutachtete mein Fußgelenk, das keine Spur mehr von einer Verletzung aufwies.
    Als ich das Lederband mit dem Stein über den Kopf gleiten ließ, musste ich unwillkürlich an meine Mutter denken. Nur mit dem Topas um den Hals, schlich ich mich vom Speicher und ging vorsichtig die Treppe runter; der Moment wäre wahrhaftig schlecht gewählt gewesen, Yannicks Nachbarn kennenzulernen.
    Mein Herz schlug schneller, als ich mich der Fußmatte näherte. Zögerlich hob ich sie an und musste einen Schrei der Erleichterung unterdrücken. Der Schlüssel war da. In der Wohnung ging ich direkt ins Badezimmer. Die Klamotten, die Yannick mir geliehen hatte, waren nicht mehr da. Auch in seinem Zimmer konnte ich sie nicht finden. Mein Blick fiel auf ein schwarzes T-Shirt, das auf seinem Bett lag. Ich nahm es in die Hände und schnupperte daran. Dieser Duft! Als ich seinen Geruch vernahm, zögerte ich keine Sekunde und zog es an. Ich verkroch mich sogar in sein Bett, um ganz

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