Im Morgengrauen
So wie ich bin.“
Schlagartig änderte sich der Ausdruck in seinem Gesicht, als hätte man einen Schalter umgelegt. Seine Selbstsicherheit schwand, er wirkte auf einmal verletzlich.
„ Ich werde trotzdem warten …“
„ Nein.“
„ Lass mich bitte ausreden. Ich werde warten, weil ich gar nicht anders kann. Ich hätte aber eine Bitte.“
„ Alles was du willst …“ Er lächelte, ich wurde rot. „Na ja, solange es sich … einrichten lässt. Du weißt, was ich meine.“
„ Es wäre schön, wenn du nicht unerreichbar für mich wärst. Ich brauche dich, ich muss dich sehen und spüren. Lass mir meine Illusionen. Nach allem, was passiert ist, könnte ich nicht mehr leben wie in den letzten Monaten. Ich habe zu sehr unter der Distanz zwischen uns gelitten.“
„ Unter zwei Bedingungen.“
„ Die wären?“
„ Erstens küsst du mich nicht mehr auf den Mund.“
„ Schwierig, müsste sich aber machen lassen“, meinte er mit einem kleinen Lächeln. „Und zweitens?“
„ Du machst die Augen auf, wenn ein Rock an dir vorbeiläuft.“
„ Oh, Lilly.“ Er nahm mich in die Arme und küsste mich auf die Stirn. „Schläfst du bei mir heute Nacht?“
„ Wie bitte?!“ Ich riss mich los.
„ Ich habe BEI gesagt, nicht MIT.“
„ Keine so gute Idee, schätze ich.“
„ Hast du Angst, schwach zu werden?“
„ Okay, es reicht!“, sagte ich genervt und wollte rausgehen.
Er packte mich am Arm: „Nein, Lilly, entschuldige … War nicht so gemeint, ich mach’s nicht mehr. Versprochen! Bleib bei mir, bitte. Ich habe so viele Fragen über die Wandlung.“
Reue und Aufrichtigkeit waren in seinem Blick zu sehen und wieder einmal gab ich nach.
Wir lagen uns ewig gegenüber. Ich erzählte ihm von den Verwandlungen, verschwieg allerdings, wie es zu der zweiten gekommen war. Es war einerseits unnötig, ihn zu verletzen, indem ich zu viel von Yannick sprach, andererseits wollte ich nicht, dass er erfuhr, inwieweit dessen Bruder involviert war.
Hin und wieder streichelte Manuel meine Finger. Irgendwann meinte er: „Du hast schöne Hände, sie sehen so zerbrechlich aus.“
„ Täusche dich nicht. Morgen zeige ich dir am Fels, wozu sie fähig sind.“
Gegen ein Uhr verabschiedete ich mich mit einem flüchtigen Kuss auf den Mund.
„ Ist das nicht verboten?“, fragte er amüsiert.
„ Dir schon. Ich kann mich beherrschen. Gute Nacht, Manuel.“
„ Gute Nacht, Lilly.“
Ich hatte gerade das schönste Lächeln der Welt verlassen und war erleichtert, dass es so glatt gelaufen war. Entspannt und müde wurde ich schnell vom Schlaf übermannt.
21
Kurz nach neun Uhr wachte ich schweißgebadet auf. Ich hatte vergessen, die Fensterläden zu schließen und die Sonne schien direkt auf mein Bett. Also ging ich rasch ins Badezimmer, um zu duschen. Während ich später meine Haare trockenrieb, spürte ich Blicke auf mir. Ich drehte den Kopf und sah ihn: Manuel. Er starrte mich an, murmelte ein „perdón“ und schloss hastig die Tür.
Als ich in die Küche kam, wunderte ich mich, dass er noch nicht da war. Meine Großmutter und Marie hatten sich bereits bedient. Oma entschuldigte sich, sie hatten nicht auf uns gewartet, meine Schwester hatte Hunger gehabt.
„ Schon gut. Manuel müsste auch jeden Moment runterkommen.“
Kaum hatte ich den Satz zu Ende gesprochen, betrat er die Küche. Er begrüßte uns alle drei mit einem Kuss auf die Wange. Ich nehme jedoch an, dass nur mir der Rücken dabei gestreichelt wurde.
„ Oma, hast du vielleicht einen Schlüssel für das Badezimmer? Jetzt, wo wir einen MANN im Haus haben, wäre es gut, wenn wir abschließen könnten.“
Dabei warf ich dem einzigen männlichen Wesen im Raum einen vorwurfsvollen Blick zu. Manuel war keineswegs verlegen, eher vergnügt.
„ Wir hatten einen. Ich fürchte aber, dass deine Mutter ihn weggeworfen hat“, antwortete sie nach kurzem Nachdenken.
„ Es macht nichts, ich werde ein Schild machen, wie im Hotel“, schlug Marie vor.
„ Sehr gute Idee“, bestätigte ich. „Manuel und ich möchten später zum Felsen gehen. Soll ich vorher noch was einkaufen?“
„ Für heute Mittag habe ich alles, was ich brauche. Wenn ihr möchtet, könnten wir heute Abend grillen. Bei Manuels Appetit lohnt es sich wenigstens, Feuer zu machen. Was haltet ihr davon?“
Da alle begeistert waren, beschloss ich, am Nachmittag zum Metzger zu fahren, und zwar ganz in der Nähe von Yannicks Wohnung.
„ Sehr gut“, freute sich meine
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