Im Morgengrauen
und nahm mich in die Arme.
„ Wir haben deinem Yannick ganz schön viel zu verdanken, was?“
„ So, so, jetzt ist er wieder MEIN Yannick?“, stellte ich traurig fest.
„ Es war nicht sarkastisch gemeint“, versicherte er mir mit einem Kuss auf die Stirn.
Meine Großmutter kam mit zwei Tassen Kaffee aus der Küche. Sie stellte sie ab, um uns zu umarmen. Als sie uns wieder losließ, wollte sich Manuel bedienen. Sie wandte aber ein: „Sie sind für Jeremys Freunde. Du kannst dich selbst bedienen. Vorher ziehst du dir aber was über.“
Fand sie ihn unsittlich mir gegenüber oder unhöflich in Bezug auf die anderen? Wie auch immer, Manuel begab sich kleinlaut in sein Zimmer, um ihrer Forderung nachzukommen. Ich musste lächeln: Oma hatte definitiv mehr Einfluss auf ihn als seine eigene Mutter.
Als sie die Tassen wieder nehmen wollte, kam ich ihr zuvor.
„ Lass mich das machen, ich möchte mich bei ihnen bedanken.“
„ Das halte ich für eine sehr gute Idee.“
Draußen näherte ich mich Loïc mit kleinen Schritten, als hätte ich Angst, Kaffee zu verschütten. In Wirklichkeit wollte ich nur Zeit schinden, unschlüssig, was ich sagen sollte. Unter den gegebenen Umständen war es nicht gerade leicht, meine Dankbarkeit zu erweisen. Seine Anwesenheit hatte mir zwar an diesem Morgen womöglich das Leben gerettet, ich konnte jedoch nicht den Ärger vergessen, den er mir davor eingebracht hatte. Und ich war noch nie mit einem Messer bedroht worden!
„ Kaffee?“
„ Gerne, danke!“
Er wich meinem Blick aus, wobei mir klar wurde, dass sein Unbehagen noch größer war als das meine.
„ Ich wollte mich für heute Morgen bedanken und ich möchte, dass du weißt, dass ich bereit bin, alles andere zu vergessen.“
„ Das freut mich“, antwortete er verlegen und erleichtert zugleich, „weil ich nichts gegen dich habe. Ich wollte nur Jeremy einen Gefallen tun. Wir hätten dir aber nichts getan, wir sollten dir nur Angst einjagen.“
„ Vergiss es einfach.“
Ich überlegte kurz, ihm die Hand als Zeichen der Vergebung zu geben, entschied mich jedoch dagegen. Sollte er unsere Gabe kennen, Empfindungen bei Berührungen zu spüren, könnte er diese Geste falsch interpretieren. Dabei wusste ich nicht einmal, ob ich diese Fähigkeit bei Fremden besaß. Selbst wenn, ich wollte auf keinen Fall den Eindruck erwecken, ich würde ihn testen. Also ließ ich es auf sich beruhen und ging zu Vincent, der von Anfang an mehr Zuschauer als Handelnder gewesen war.
Dieser schien sich ebenfalls unwohl zu fühlen. Ich wollte ihn nicht länger als nötig quälen und verkürzte das Ganze auf ein knappes „Danke, dass du da warst.“ Worauf er nur kurz mit dem Kopf nickte.
Blieb nur noch, dem Anführer der Truppe meine Aufwartung zu machen. Schließlich verdankte ich ihm mein Leben. Ich holte tief Luft, ehe ich die Küche betrat. Meine Großmutter war gerade dabei, Brote zu schmieren. Die Männer saßen am Tisch und frühstückten. Als er mich sah, stand Yannick sofort auf. Ich hätte mich am liebsten in seine Arme geworfen, etwas anderes hatte aber Priorität. Nicht, dass ich besonders erpicht darauf war, seinem Bruder gegenüberzustehen, ich wollte es aber hinter mich bringen. Schweren Herzens lächelte ich Yannick an, ging jedoch zu Jeremy, dem ich die Hand hinhielt.
„ Wir wurden noch nicht vorgestellt, ich heiße Lilly. Ich wollte mich noch bei dir bedanken … auch wenn du es nicht für uns getan hast.“
Er nahm meine Hand und starrte mich an, ohne jegliche Verlegenheit zu zeigen. Meine Direktheit schien ihn jedoch zu überraschen. Imponierte sie ihn sogar? Ohne den Blick von meinem abzuwenden, schüttelte er lange meine Hand. Wäre er Gestaltwandler gewesen, hätte ich mich entblößt gefühlt. Entsetzt kam mir der Gedanke: Er wusste es! Oder noch schlimmer: Vielleicht konnte er mich sogar spüren. Schnell versuchte ich, meine Gefühle abzuwehren, denn er hielt mich immer noch fest. Es schien zu funktionieren: Ich konnte ihn nicht mehr fühlen. Auf einmal fing er an zu lachen.
„ Du muss ein ganz schönes Früchtchen sein, um meinem Bruder derart den Kopf zu verdrehen!“
Sobald er meine Hand freigab, stürzte ich mich in Yannicks Arme. Langsam ließ der Druck in meiner Brust nach. Am liebsten hätte ich vor Erleichterung geweint. Da ich Jeremys Blick im Rücken spürte, wollte ich auf keinen Fall Tränen vergießen. Nicht in seiner Anwesenheit.
Hatte er in mir lesen können? Ich hatte keinen Schimmer. Was
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