Im Namen der Engel
Wasser fiel – und wutsch! Große Schweinerei!«
»Wutsch?«, wiederholte Bree, die es gruselte. Sie beäugte den braunen Umschlag. Vor großen Spinnen gruselte es sie auch. Doch sie schaffte es immer, ihre Angst zu überwinden. Sie schnappte sich den Umschlag und entnahm ihm die Fotos. Unschön. Sehr unschön. Und auch noch in Farbe. »Puh. Aber man war trotzdem imstande festzustellen, dass er ertrunken ist? Ich meine, von der Leiche war genug übrig, um … äh … eine Untersuchung vorzunehmen?«
»O ja. Die Todesursache steht außer Frage. Nehmen Sie all das Zeug mit nach Hause, dann haben Sie eine hübsche Bettlektüre.« Er knallte einen zweiten Bericht auf die Fotos, sodass Bree sie erfreulicherweise nicht mehr sah. »Die polizeiliche Befragung des Sohns und seiner Frau.«
»Ich bin beeindruckt«, sagte Bree. »Wie sind Sie denn an die Unterlagen gekommen?«
»Wenn der Fall offiziell abgeschlossen ist, werden diese Sachen ohnehin archiviert und sind der Öffentlichkeit zugänglich. Also warum nicht schon vorher?« Er bewegte die Augenbrauen auf und ab. »Natürlich hat der berühmte Parchese-Charme die Sache ungeheuer erleichtert.«
Bree nahm den Polizeibericht in die Hand, den ein Lieutenant Hunter unterschrieben hatte. Die Protokolle der Befragungen von Skinners Sohn Grainger und Graingers Frau Jennifer waren dem Bericht beigeheftet.
»Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen auch eine Zusammenfassung geben«, bot Ron an. »Auch wenn Sie nicht wollen. Dann können Sie sich die Lektüre nämlich sparen. Skinner befand sich am Bug des Bootes, wo er gewöhnlich saß. Sie waren in eine Flaute geraten und hatten den Motor angeworfen, um zum Pier zurückzufahren. Doktorchen zufolge …«
Bree zog eine Augenbraue hoch. »Doktorchen?«
»Grainger. Er ist Arzt. Also Grainger zufolge schlürft Dad gerade einen Diätdrink, greift sich plötzlich an die Brust und purzelt ins Meer. Der Doc schreit seiner Frau zu beizudrehen und rennt los, um einen Bootshaken zu holen. Er angelt nach Dad, während Mrs. Doc …«
»Jennifer«, sagte Bree, den Bericht durchblätternd.
»Unsere Jennifer«, fuhr Ron vergnügt fort, »brettert mit dem Außenbordmotor über die arme Seele, natürlich aus Versehen. Daraufhin wird sie hysterisch. Grainger schafft es, den Körper an Bord zu zerren – daher die Hakenspuren am Rücken, die auf dem Foto hier zu sehen sind.« Er wühlte in den Fotos herum, bis er das betreffende Bild gefunden hatte. Bree hätte am liebsten die Augen geschlossen. »Jedenfalls alarmiert Grainger die Küstenwache, die im Nu auftaucht. Alle gebärden sich wie wild, schreien und brüllen herum, bis auf das Opfer natürlich, das dazu nicht mehr in der Lage ist. So war das.«
»Wow.« Bree holte tief Luft und trank einen großen Schluck Kaffee.
Sie war am späten Nachmittag ins Büro zurückgekommen. Petru war in die Bücherei gegangen. Lavinia und Sascha befanden sich oben. Bree hoffte, dass der Hund den Geschmack von Lemuren nicht mochte. Ron war aufgesprungen und hatte sie fröhlich begrüßt, als sie zur Haustür hereingekommen und ins Empfangszimmer gegangen war. Er hatte gerade frischen Kaffee gemacht. Allmählich fühlte sie sich in diesem Büro wie zu Hause.
Bree nahm sich erneut die Fotos vor und rieb sich den Nacken. »Schwierig, schwierig«, sagte sie schließlich. »Nehmen wir einmal an, dass unsere Klientin recht hat und Skinner ermordet wurde. Die offensichtlichen, genauer gesagt, die einzigen Verdächtigen sind Skinners Sohn Grainger und dessen Frau. Wie sollen wir denen etwas beweisen? Jeder von ihnen bestätigt die Aussage des anderen.«
Die Haustür öffnete und schloss sich wieder. Kurz darauf war im Wohnzimmer ein vertrauter, schleifender Schritt zu hören. Ron sprang vom Schreibtisch, steckte den Kopf zur Tür hinaus und rief: »Juhu! Wir sind hier drinnen!«
Als Petru hereinkam, stand Bree automatisch auf. Der Mann war älter als sie und lahm, sodass es ihr unhöflich, ja, geradezu arrogant vorgekommen wäre zu sitzen, während er stand. Der Ledersessel war offenbar zu tief und rutschig für ihn. Ron schleppte einen Stuhl ins Zimmer und stellte ihn für Petru neben den Schreibtisch. Dann stemmte er die Hände in die Hüften und sah sich um. »Leider muss ich sagen, dass Ihr Geschmack erbärmlich ist, was gebrauchte Möbel betrifft. Einfach erbärmlich.«
Bree blickte auf. Sie las gerade das Protokoll des Gesprächs, das Lieutenant Hunter mit Jennifer Skinner geführt hatte. Auf dem
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