Im Namen der Gerechtigkeit - Roman
Tasse auf ihren Tisch. Dellera staunte.
«Roberto, kaum zu glauben», sagte er.
«Ciao, Marco. Ciao, Giorgio.»
«Wo bist du denn abgeblieben, Doni?»
«Was soll das heißen, abgeblieben?»
«Na, man hat dich lange nicht gesehen», sagte Recalcati.
Doni zuckte mit den Schultern.
«Viel Arbeit.»
«Na klar.»
«Und was macht der Computerraum?», erkundigte sich Dellera.
«Hör bloß auf.»
«Okay. Dann was anderes, denk daran, dass in einer Woche Paolis spektakuläres Essen stattfindet.»
Doni schlug sich mit der Hand gegen die Stirn.
«Du hast es vergessen, stimmt’s?» Recalcati grinste.
«Ja, das habe ich.»
«Du weißt, wie wichtig ihm das ist. Wenn er dich nicht sieht, fängt er an, Sperenzchen zu machen, wo ist denn Roberto, wie kommt es denn, na und so weiter.»
Er zwinkerte ihm zu.
«Den musst du dir warmhalten, wenn du aus diesem Irrenhaus abhauen willst.»
«Ja», sagte Doni. «Ich muss mir den Termin in den Kalender schreiben.»
Dellera hustete: «Kinder, wir haben Pause. Wir sollten über Fußball reden und nicht über Paoli und seine Festessen auf dem Lande.»
«Stimmt, wir sollten lieber über Juve sprechen», sagte Recalcati.
«Ich sagte, über Fußball, Marco. Nicht über Kriminelle.»
«Ach, leck mich doch.»
«Darf ich dich an die ganzen Verstrickungen erinnern?»
«Leck mich.»
«Na klar. Ist doch gemütlich, sich die Meistertitel erkaufen zu können, was?»
«Zum dritten Mal: Leck mich.»
Dellera lachte laut auf. Doni trank seinen Kaffee und stellte die leere Tasse auf den Tisch.
«Der Kaffee schmeckt heute zum Kotzen», sagte er.
«Stimmt», sagte Recalcati.
«Ich finde ihn immer zum Kotzen», sagte Dellera.
«Du findest ja alles zum Kotzen.»
«Nein, bloß Juventus.»
«Ich bring dich um.»
«Bring lieber erst mal deinen Mafiaklub um.»
«Ich will kein Wort mehr davon hören.»
«Ich sagte: ‹ Bring lieber erst mal … ›»
«Halt den Mund.»
«Warum denn? Bist du auch für Moggi?»
«Halt den Mund, sag ich. Du weißt doch gar nicht, wovon du redest.»
«Das wissen nur du und Moggi.»
«Ich bringe dich um. Das sag ich dir.»
«Na los, bring mich um.»
«Ich trinke meinen Kaffee aus, und dann tu ich es.»
«Ich kann’s kaum erwarten.»
Sie lachten beide. Doni verabschiedete sich.
Den Rest des Tages verbrachte er damit, nochmals das Urteil in erster Instanz zum Fall Khaled zu lesen. Gegen fünf Uhr rief Claudia an, um ihm mitzuteilen, dass sie zum Abendessen nicht zu Hause sein würde. Doni beschloss, nichts zu essen. Er würde arbeiten, als gäbe es sonst nichts auf der Welt. Nur ihn und die Akten. Ihn und den Bildschirm. Wie in alten Zeiten.
Um acht, das Blut pochte ihm in den Schläfen, stand er vom Schreibtisch auf und drehte eine große Runde durch den Justizpalast.
Zunächst ging er auf seinem Flur auf und ab. Neonröhren, die an nur scheinbar schwachen Drähten hingen, dreißig oder vierzig Jahre alt. Die Glastüren zu den Abteilungen. Er stellte sich vor, ein Fremder zu sein, ein umherschweifendes Teilchen, einer der im Haus herumirrenden Besucher. Die Holztüren zu den Büros, wie auch er eines hatte, ähnelten denen der Hörsäle in der staatlichen Universität. Die gleiche Beleuchtung, die gleiche Stille um diese Zeit.
Er ging die Treppe hinauf. Staub und Dunkelheit.
Er gelangte in die oberen Etagen, in den aufgestockten Gebäudeteil in Schwarz, der die Nägel in den Steinquadern notwendig gemacht hatte und das ganze Gebäude an den Rand des Einsturzes brachte, ohne dass es je einstürzte. Er begegnete niemandem. Offenbar waren alle Richter und Staatsanwälte bereits nach Hause gegangen. Doni stellte sich seine Kolleginnen vor, die ihrem Freund ein Abendessen bei dem neuen Koreaner gleich um die Ecke vorschlugen. Und er stellte sich seine Kollegen vor, die einen Drink oder etwas anderes nahmen, um den Tag zu vergessen, bevor sie zu ihrer Frau oder in ihre einsame Wohnung zurückkehrten.
Er stellte sich die ganze Stadt vor, sein Mailand, das unter der Kontrolle des Justizpalastes pulsierte wie ein nur mühsam regulierter Mechanismus, jedes Stückchen Schönheit und Schmerz höheren Gesetzen unterworfen – doch welchen?
Schwer atmend kam er im obersten Stockwerk an. Er lockerte seine Krawatte. Dann schaute er durch ein Fenster hinunter auf die Straße, auf die Leere.
15
DER BESITZER DES Bagatella , der alte Renato, hatte eine genaue Vorstellung davon, wer an seiner Einlasskontrolle vorbei durfte. Falls man noch alle Haare auf dem
Weitere Kostenlose Bücher