Im Namen der Heiligen
wissen sie trotzdem, daß Winifreds Seele unter ihnen lebt und daß sie sich auf sie verlassen können. Und das will viel heißen bei einer walisischen Heiligen! Der Prinz und der Bischof - so sehr ich die beiden auch verehre - wissen wahrscheinlich nicht, wie meinen Pfarrkindern zumute wäre, wenn man ihr allerheiligstes Mädchen ausgraben und nach England bringen würde. Für die Krone und den Bischofsstab spielt das vielleicht keine Rolle - eine Heilige ist dort heilig, wo ihre Gebeine ruhen. Aber ich versichere euch - den Bewohnern von Gwytherin wird das gar nicht gefallen!«
Bruder Cadfael - von Huws schlichten, aber herzbewegenden Worten zu einer lange nicht mehr empfundenen Begeisterung für seine walisische Heimat inspiriert - ließ Urien, der die Initiative ergreifen wollte, nicht zu Wort kommen. Im deklamatorischen Ton eines Barden übersetzte er die Ansprache des Pfarrers.
Inmitten seines Wortschwalls wandte er den Blick von den Gesichtern, die ihn ablenkten, zu einem, das ihn mehr interessierte. Die junge Frau mit dem silberbraunen Haar war wieder am Zaun vorbeigegangen und hatte Huws Worte gehört. Fasziniert war sie stehengeblieben, und nun lauschte sie mit strahlenden Augen und lächelnden Rosenlippen den emphatischen Worten Cadfaels, die sie nicht verstand. Entzückt beobachtete sie ihn - und wurde ebenso entzückt von Bruder John angestarrt. Cadfael musterte beide - und war verwirrt. Aber im nächsten Augenblick wurde ihr bewußt, daß sie hier nichts zu suchen hatte. Eine zauberhafte Röte stieg in ihre Wangen, und sie eilte davon. Bruder John schaute noch lange in die Richtung, in der sie verschwunden war.
»Das ist doch völlig unwichtig, oder?« wandte Prior Robert mit trügerisch freundlicher Stimme ein. »Der Bischof und der Prinz haben ihren Standpunkt klar zum Ausdruck gebracht. Deine Pfarrkinder müssen nicht gefragt werden.«
Auch das übersetzte Cadfael. Urien beschloß, stumm und neutral zu bleiben. »Unmöglich!« widersprach Huw im Brustton der Überzeugung. »In einer so wichtigen
Angelegenheit kann nichts unternommen werden, solange ich die Freien von Gwytherin nicht zusammengerufen und ihnen den Fall erklärt habe. Der Wille des Bischofs und des Prinzen hat sicher Vorrang, aber die Leute müssen trotzdem gehört werden. Morgen wird eine Versammlung stattfinden. Euer Wunsch kann nur erfüllt werden, wenn die Gemeinde einverstanden ist.«
»Er hat recht«, bestätigte Urien und hielt dem halb strengen, halb beleidigten Blick des Priors stand. »Ihr seid auf den guten Willen dieser Leute angewiesen, auch wenn ihr bereits den allerhöchsten Segen habt. Aber die Dorfbewohner respektieren den Bischof und sind sehr zufrieden mit dem König und seinen Söhnen. Also werden sie euch wohl kaum Steine in den Weg legen.«
Prior Robert fügte sich in sein Schicksal und erkannte, daß er nun eine Ruhepause brauchte, um über seine weitere Strategie nachzudenken. Als Urien sich erhob, um seinen Heimweg anzutreten, stand auch der Prior auf. Die anderen, die er um einen halben Kopf überragte, folgten seinem Beispiel. In demütiger Resignation faltete er die langen weißen Hände.
»Bis zur Vesper haben wir noch zwei Stunden Zeit. Ich würde jetzt gerne in deine Kirche gehen, Vater Huw, um zu meditieren und um göttlichen Rat zu bitten. Bruder Cadfael, du bleibst besser bei Vater Huw und hilfst ihm bei allen nötigen Vorbereitungen. Bruder John, du kümmerst dich um die Pferde und bringst sie in die Ställe, die Vater Huw dir zeigen wird. Die anderen werden mit mir um ein glückliches Ende unserer Pilgerfahrt beten.«
Mit hocherhobenem silbergrauem Haupt und majestätischen Schritten entfernte er sich. Er mußte sich bücken, um durch die niedere Rundbogentür der Kirche zu gehen. Bruder Richard, Bruder Jerome und Bruder Columbanus verschwanden hinter ihm in dem kleinen Gebäude. Es war anzunehmen, daß sie nicht nur beten, sondern auch besprechen würden, mit welchen Argumenten und kirchlichen Drohungen man die Dorfbewohner - falls sie Widerstand leisten sollten - überzeugen könnte.
Bruder John blickte auf den stolzen Silberkopf, bis dieser sich würdevoll geneigt hatte, um mit dem dunklen Kircheninneren zu verschmelzen, dann seufzte er und ließ dem Gelächter, das er so lange unterdrückt hatte, freien Lauf. Und seine Fröhlichkeit erweckte den Anschein, als habe er um ein Hindernis auf Prior Roberts Pilgerfahrt gebetet... Die Sonne hatte seine Wangen rot gefärbt, und nach den vielen
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