Im Namen der Heiligen
Edwin kam mit einer lebhaften alten Frau zurück, die etwas zu essen und weitere Getränke brachte. Und während die Gäste in der Sonne saßen, übergaben auch andere Frauen dem Pfarrer, was ihre Küchen und Keller zu bieten hatten. Neugierige Dorfbewohner schlenderten am Weidenrutenzaun vorbei und warfen verstohlene Blicke auf die Fremden. Es geschah nicht alle Tage, nicht einmal alle Jahre, daß so vornehmer Besuch nach Gwytherin kam. Noch vor dem Abend würde das ganze Dorf wissen, so weit verstreut die einzelnen Gehöfte auch liegen mochten, daß Vater Huw Mönche aus Shrewsbury beherbergte, wie viele es waren, wie sie aussahen, was für großartige Pferde und hübsche Maulesel sie hatten - und wahrscheinlich auch, warum sie gekommen waren. Doch die Leute, die am Zaun vorbeigingen, benahmen sich keineswegs aufdringlich, trotz ihrer Neugier blieben sie höflich und zurückhaltend.
»Und nun, da Master Urien nach Aber zurückreiten muß«, sagte Huw, als die Mahlzeit beendet war und sich alle behaglich zurücklehnten, »sollte er mir wohl sagen, auf welche Weise ich den Brüdern aus Shrewsbury dienen kann - damit er sicher sein kann, daß wir einander verstanden haben, bevor er aufbricht. Was immer in meinen Kräften steht, werde ich tun.«
Urien erzählte die Geschichte, die er von den Mönchen gehört hatte, und Prior Robert flocht so weitschweifige Ergänzungen ein, daß sich Bruder John zu langweilen begann. Er fing an, die Leute zu mustern, die am Zaun vorbeiwanderten - mit gespitzten Ohren und scharfen, wenn auch schüchternen Äugen. Sein Interesse war nicht ganz so diskret wie das der Dorfbewohner. Was für hübsche Mädchen es hier gab! Die jetzt zum Beispiel vorbeiging, mit langsamen, anmutigen Schritten - natürlich wußte sie, daß sie beobachtet wurde... Ein dicker Zopf fiel über ihre linke Schulter, schimmernd wie poliertes Eichenholz, in einem hellen seidigen Braun, sogar mit silbrigen Strähnen, die an die Maserung der Eichen erinnerten...
»Und der Bischof hat seine Zustimmung gegeben?« fragte Huw nach einem langen Schweigen, mit einer Stimme, die Verwunderung und Zweifel verriet.
»Sowohl der Bischof als auch der Prinz sind einverstanden«, entgegnete Prior Robert etwas unbehaglich. In diesem Stadium seiner Pilgerfahrt hatte er nicht einmal mehr mit der leisen Andeutung etwaiger Hindernisse gerechnet. »Die heiligen Zeichen haben uns doch sicher nicht in die Irre geführt? Die heilige Winifred ist hier begraben, nicht wahr? Nach ihrer Auferstehung hat sie hier gelebt, bis zu ihrem Tode.«
Huw bestätigte dies in einem so merkwürdigen, vorsichtigen und widerstrebenden Ton, daß Cadfael ihn aufmerksam beobachtete. Offenbar versuchte sich der Pfarrer zu erinnern, wo die Heilige bestattet war, und er schien zu überlegen, in welchem Zustand sich das Grab befinden mochte, an das er jahrelang keinen Gedanken mehr verschwendet hatte.
»Sie liegt also hier, auf diesem Friedhof?« Der Prior blickte zu der kleinen Kirche hinüber, deren weiße Mauern herausfordernd in der Sonne leuchteten.
»Nein.« Huw war sichtlich erleichtert, weil er das Grab nicht sofort vorzeigen mußte. »Diese Kirche wurde erst nach ihrem Tod gebaut. Sie wurde auf dem alten Friedhof bei der Holzkirche am Hügel zur letzten Ruhe gebettet, etwa eine Meile von hier entfernt. Er wird schon lange nicht mehr benutzt... Ja, sicher sind all diese Zeichen günstig für deine Pläne, Prior, und es steht zweifellos fest, daß die Heilige hier in Gwytherin begraben ist, aber...«
»Aber?«, wiederholte Prior Robert mißvergnügt. »Der Bischof und der Prinz haben uns ihren Segen gegeben und dir unser Anliegen ans Herz gelegt. Außerdem haben wir gehört, daß die Heilige hier bei euch vernachlässigt wird. Sicher wünscht sie eine andere Grabstätte zu finden, wo man sie zu würdigen weiß.«
»Meinem Glaubensbekenntnis zufolge streben die Heiligen nicht nach persönlicher Ehre«, erwiderte Huw sanft, »sondern dienen nur der Ehre Gottes. Deshalb kann ich nicht wissen, was die heilige Winifred wünscht. Natürlich will ich nicht bestreiten, daß sie in deinem Kloster die allergrößte Hochachtung erfahren würde, aber... Diese gesegnete Jungfrau verbrachte ihr Leben, das Gott ihr auf so sonderbare Weise wiedergeschenkt hatte, an diesem Ort - und an keinem anderen. Hier starb sie zum zweitenmal, hier wurde sie begraben, und wenn die Leute sie auch vernachlässigt haben - sie sind nun einmal Menschen und deshalb nicht unfehlbar -, so
Weitere Kostenlose Bücher