Im Namen der Heiligen
seinen festen, gesicherten Platz im Clan und sein Auskommen hatte, entweder als Freier oder als
Leibeigener, war ein Ausländer, der hier kein Grundstück besaß, chancenlos. Er konnte nur vorankommen, wenn er einen Grundbesitzer fand, der ihm eine Unterkunft bot, ihm ein Stück Land zur Verfügung stellte und sich seine Fähigkeiten zunutze machte. Ein solcher Vertrag konnte drei Generationen lang jederzeit gekündigt werden, und der Ausländer konnte wegziehen, wenn er seine Rinderherde mit dem Herrn teilte, der es ihm ermöglicht hatte, sie zu züchten.
»Ja, ich weiß. Rhisiart hat den jungen Mann also in seine Dienste genommen und ihm einen kleinen Hof überantwortet?«
Cai nickte. »Das ist jetzt über zwei Jahre her. Und keiner von den beiden hat es bedauert. Rhisiart ist ein gerechter Herr, und er respektiert Engelard. Aber kannst du dir vorstellen, daß ein walisischer Großgrundbesitzer seine einzige Tochter einem alltud geben würde?«
»Nein, niemals. Das würde allen seinen Gesetzen, seinen Sitten und seinem Gewissen widersprechen. Und seine Verwandtschaft würde ihm das nie verzeihen.«
»Das stimmt, so wahr ich lebe.« Cai seufzte wehmütig. »Aber versuch doch mal, das einem stolzen, sturen jungen Burschen wie Engelard klarzumachen, der seine eigenen Gesetze hat und sich nach den Rechten eines anderen Landes richtet, wo sein Vater große Ländereien besitzt und in seinem Feudalsystem ebensoviel gilt wie Rhisiart hier.«
»Soll das heißen, daß er tatsächlich um Sioneds Hand angehalten hat?« fragte Cadfael erstaunt und voller Bewunderung.
»Ja, das hat er getan, und du kannst dir denken, was für eine Antwort er bekommen hat. Rhisiart war ihm nicht böse, aber er hat ihm auch keine Hoffnungen gemacht.
Aber Engelard gibt nicht auf. Wann immer er Rhisiart über den Weg läuft, sagt er ihm, daß er um Sioned kämpfen wird. Die beiden sind einander ebenbürtig - denn sie sind alle zwei heißblütig, halsstarrig und so ehrlich und offen, daß man seine Freude dran haben kann. Und sie respektieren einander. Deshalb ist es auch noch nicht zum Bruch gekommen. Aber wann immer sie sich begegnen, sprühen die Funken. Als Engelard seinen Herrn einmal zu dicht auf den Pelz gerückt ist, hat Rhisiart ihn geschlagen - und der Bursche hätte beinahe zurückgeschlagen. Was hätte da geschehen müssen? Ich habe noch nie zuvor erlebt, daß ein Ausländer so was gemacht hat - aber wenn ein Leibeigener die Hand gegen einen Freien erhebt, wird sie ihm abgehackt. Engelard hat sich im rechten Augenblick noch zurückgehalten - sicher nicht, weil er Angst hatte, sondern weil er wußte, daß er drauf und dran war, ein Unrecht zu begehen. Und was tat Rhisiart eine halbe Stunde später? Er ging zu Engelard und bat ihn um Verzeihung. Er erklärte, er wäre ein unvernünftiger und unverschämter walisischer Schurke, und er hätte Engelard nicht schlagen dürfen. Unaufhörlich tobt der Kampf zwischen den beiden, und keiner gibt Ruhe. Aber wenn jemand in Engelards Gegenwart was gegen Rhisiart sagt, wird ihm sein Wort von einer beinharten Faust in den Schlund zurückgeschoben. Und wenn ein Diener schlecht über Engelard redet, um sich lieb Kind bei Rhisiart zu machen, kriegt er zu hören, daß der alltud ein ehrlicher Mann ist und ein guter Arbeiter und zehnmal mehr wert als die Leute, die ihn verleumden. Und so geht es immer weiter. Ich glaube nicht, daß das ein gutes Ende nehmen wird.«
»Was sagt denn das Mädchen dazu?« fragte Cadfael.
»Wenig - und wenn sie was dazu sagt, dann nur ganz leise. Vielleicht hat sie am Anfang versucht, ihren Vater umzustimmen - aber nur, wenn sie mit ihm allein war. Jetzt wartet sie ab und bemüht sich, die beiden Streithähne voneinander fernzuhalten.«
Und sie trifft ihren Liebsten unter der Eiche, dachte Cadfael, vielleicht auch noch an anderen geheimen Orten. So hat sie also Englisch gelernt, und sie hatte dem Jungen Walisisch beigebracht. Und nun fürchtete sie, daß der Fremde, dem sie ihre Sprachkenntnisse verraten hatte, das im Dorf ausplaudern könnte. Natürlich wollte sie nicht, daß man erfuhr, wie oft sie sich mit Engelard traf, wenn sie erst mal abwartete und Begegnungen zwischen ihrem Vater und ihrem Liebhaber verhinderte - bis der rechte Zeitpunkt gekommen war, wo sie ihren Willen durchsetzen konnte. Wer konnte schon wissen, wer von den dreien zuerst nachgeben würde - wo sie doch alle so dickköpfig waren?
»Offenbar habt ihr schon genug Probleme hier in Gwytherin«,
Weitere Kostenlose Bücher