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Im Namen der Heiligen

Im Namen der Heiligen

Titel: Im Namen der Heiligen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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sollte, bei euch zu bleiben? Habt ihr niemals ihr Grab vernachlässigt?«
    »Und wenn wir das getan haben«, entgegnete Rhisiart selbstbewußt, »glaubst du, das Mädchen nimmt uns das übel? Ihr habt nicht hier gelebt - so wie sie. Ihr seid Engländer, sie war Waliserin, und sie hat uns niemals so gezürnt, daß sie sich von uns zurückgezogen oder sich beklagt hätte. Wir wissen, daß sie hier ist, und es ist nicht nötig, daß wir ein großes Aufheben davon machen. Wenn wir Hilfe brauchen, dann weiß sie das, und sie verlangt nicht, daß wir mit Gebeten und Tränen zu ihr laufen und uns auf die Knie werfen. Und wenn sie ein paar Blumen haben wollte, würde sie Mittel und Wege finden, uns das mitzuteilen. Uns - und keinem fernen Benediktinerkloster in England!«
    Nun schrien sie alle aus voller Kehle, inspiriert von Rhisiarts temperamentvollen Worten. Der Mann war ein Poet und ein Prediger, jedem Engländer ebenbürtig. Bruder Cadfael unterdrückte die Wallung nicht, in die sein bardisches Blut geraten war, und genoß die Szene in stillem Entzücken. Nicht einmal so sehr, weil es Prior Robert war, der in kalter Wut diese walisischen Angriffe ertragen mußte - sondern weil eine walisische Stimme das Kriegsgeschrei ertönen ließ.
    »Und wollt ihr etwa leugnen«, donnerte Robert, während er seine asketische Gestalt zu ihrer vollen Größe aufrichtete, »daß eine tiefe Wahrheit in den Wundern liegt, die ich geschildert habe - daß es bedeutsame Omen waren, die uns hierherführten?«
    »Nein«, gab Rhisiart zu. »Ich habe nie bezweifelt, daß ihr diese Wunder erlebt habt und daran glaubt. Aber Wunder können sowohl von Engeln als auch von Dämonen verübt werden. Wenn diese Wunder vom Himmel kamen - warum wußten wir dann nichts davon? Die kleine Heilige ist hier nicht in England. Also hätte sie ihre Wunder hier bei uns wirken müssen. Das wäre sie uns schuldig gewesen. Wagst du etwa zu behaupten, daß sie uns verraten hat? Gibt es in Wales keine Kirche - keine keltische Kirche -, der sie treu verbunden war? Was wußte sie denn von eurer Kirche? Ich glaube nicht, daß sie mit euch spricht und nicht mit uns. Ihr seid von Teufeln getäuscht worden! Winifred hat niemals auch nur ein Wort zu euch gesagt!«
    Jubelnd applaudierten die anderen ihrem Sprecher, der sich besser auszudrücken wußte als sie und seinen Finger auf den Puls ihres Widerwillens gelegt hatte. Das bischöfliche System erbitterte die treuen Anhänger der alten heiligen keltischen Kirche, die keine weltlichen Attribute besaß und keine Throne verehrte, sondern sich lieber von der Welt zurückzog, in die gesegnete Einsamkeit der Gedanken und Gebete. Immer lauter klangen die Stimmen auf, und Prior Robert entschloß sich unklugerweise, sie zu überschreien.
    »Sie hat nicht zu euch gesprochen, weil ihr sie vergessen und nicht so geehrt habt, wie es ihr gebührt hätte! Und sie hat sich an uns gewandt, um die Wertschätzung zu erlangen, die ihr von eurer Seite versagt blieb!«
    »Das ist nicht wahr«, erwiderte Rhisiart, »obwohl du dir das in deiner Unwissenheit vielleicht einbildest. Die Heilige ist eine gute Waliserin und kennt ihre Landsleute.
    Wir katzbuckeln nicht vor den reichen und vornehmen Leuten, wir kriechen nicht im Staub, wenn sich einer vor uns aufspielt. Wir sind einfach und offen, auch im Gebet. Was wir verehren, das verehren wir in unserem Herzen, und dieses walisische Mädchen weiß das. Sie würde uns niemals im Stich lassen, auch wenn wir es versäumt haben, ihr Grab zu schmücken. Es ist der Geist unseres Fühlens und Denkens, auf den es ankommt, und den spürt sie. Und diese Gebeine, die ihr haben wollt - die gehören ihr allein, nicht uns und auch nicht euch. Solange sie uns nicht sagt, daß sie uns verlassen will, bleibt sie hier, oder wir wollen verdammt sein!«
    Es war der bitterste Schicksalsschlag in Prior Roberts Leben, daß er erkennen mußte, einen ebenbürtigen oder sogar überlegenen Gegner gefunden zu haben, was seine Beredsamkeit und Argumentationskunst betraf - noch dazu in einem halb barbarischen walisischen Grundbesitzer, keinem großen Herrn, sondern einem einfachen Gutsbesitzer, der sich im Kreise der Seinen zu einem Status aufgeschwungen hatte, der ihm nicht zukam, zumindest nicht in normannischen Augen. Dies war der Unterschied zwischen den beiden, daß Robert hierarchisch dachte, während sich Rhisiart an Blutsbanden orientierte, die alle umschlossen, mochten sie von hohem oder niedrigem Stand sein, die keinem

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