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Im Namen der Heiligen

Im Namen der Heiligen

Titel: Im Namen der Heiligen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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die Jungen, kräftigen den Weg hinaufeilten, der an Cadwallons Grundstück vorbeiführte. Hier standen die Bäume noch nicht zu dicht, und dazwischen wuchs kaum Unterholz, sondern weiches hellgrünes Gras. Sie bildeten einen Halbkreis, als sie den Hang hinaufstiegen, jeweils durch wenige Schritte voneinander getrennt. Sioned blieb auf dem Weg, lief mit zusammengepreßten Lippen hinauf, und ihr Blick durchdrang jedes Gebüsch, an dem sie vorbeikam. Peredur folgte ihr, sprach liebevoll und tröstend auf sie ein, doch sie ignorierte ihn. Ob er seinen eigenen zuversichtlichen Worten glaubte oder nicht - seine Gefühle waren über jeden Zweifel erhaben. Sein ganzes Herz gehörte Sioned, und er wollte alles tun, um ihr Kummer zu ersparen und sie zu beschützen, während sie in ihm nur den lästigen Nachbarjungen sah.
    Cadwallons Anwesen lag bereits eine halbe Meile hinter ihnen, als Vater Huw plötzlich nach Bruder Cadfaels Ärmel griff. »Wir haben Bruder Jerome und Bruder Columbanus vergessen! Der Hügel, wo die Friedhofskapelle steht, liegt gleich da drüben. Es ist nicht weit. Frag doch Prior Robert, ob wir jemanden hinüberschicken sollen, der die beiden hierherbringen könnte.«
    »Das habe ich in der Tat vergessen«, gab der Prior zu. »Ja, um Himmels willen, schick jemanden hinüber! Am besten eins von deinen Pfarrkindern, das den Weg kennt.«
    Ein junger Mann verschwand gehorsam zwischen den Bäumen, während der Suchtrupp weiter bergan eilte.
    Sioned blieb stehen. »Hier ist die Abkürzung, die zur Lichtung hinaufführt. Es ist kein richtiger Weg - und deshalb sollten wir uns verteilen wie zuvor.«
    Der Hang stieg immer steiler an, die Bäume standen immer dichter beisammen. Das Unterholz wuchs so hoch empor, daß sie einander bald aus den Augen verloren. Plötzlich stürzte Bened aus den Büschen rechts von Cadfael und schrie entsetzt auf. Die anderen blieben stehen.
    Cadfael folgte dem Schmied durch ein Dornengestrüpp auf eine kleine ovale Lichtung, umgeben von Dickicht, das nur an den Stellen, wo die Abkürzung hindurchführte, unterbrochen war. Und mitten auf der Lichtung lag Rhisiart mit ausgebreiteten Armen und angezogenen Knien. Die Beine waren zur Seite gedreht, das linke kreuzte das rechte. Sein kurzer Bart wies zum Himmel empor, ebenso wie der gefiederte Pfeilschaft, der aus seiner Brust ragte.
    Sie kamen von beiden Seiten auf die Lichtung, herbeigerufen vom Aufschrei des Schmiedes, brachen aus dem Gebüsch wie eine Herde verschreckter Rehe und starrten entsetzt auf die reglose Gestalt. Cadfael kniete nieder und versuchte den Hauch eines Atemzugs zwischen den verzerrten Lippen oder einen Pulsschlag am Hals zu spüren. Er sah nach, ob sich die Brust hob und senkte - vergeblich. Er war der einzige auf der kleinen Lichtung, der sich bewegte, und was er tat, geschah in einer seltsamen, viel zu intensiven Stille, als würden die Menschen ringsum die Luft anhalten.
    Und dann erwachten sie plötzlich alle zum Leben. Sioned bahnte sich einen Weg durch die erstarrte Schar, sah ihren Vater und wollte zu ihm stürzen, mit einem schrillen Schrei, der mehr wütend als verzweifelt klang. Peredur hielt sie am Handgelenk fest, drückte sie an seine Brust und preßte ihren Kopf an seine Schulter, doch da schrie sie noch gellender, wehrte sich mit aller Kraft, riß sich los, warf sich neben Cadfael auf die Knie und wollte Rhisiart umarmen. Aber der Mönch hob abwehrend eine Hand, mit der anderen ins Gras neben der rechten Achselhöhle des Toten gestützt.
    »Nein! Rühr ihn nicht an! Noch nicht! Er hat uns noch einiges zu sagen.«
    Ihre intuitive Geistesgegenwart, die sie nicht einmal in diesem Augenblick verließ, bewog sie zu gehorchen. Und den Sinn seiner Warnung verstand sie unmittelbar danach. Fragend sah sie ihn an und setzte sich langsam ins Gras, die Hände im Schoß gefaltet. Lautlos formten ihre Lippen seine Worte - >er hat uns noch einiges zu sagen<. Von seinem Gesicht blickte sie auf die verzerrten Züge ihres Vaters. Sie hatte längst erkannt, daß er tot war. Und sie wußte auch, daß die Toten sprachen - manchmal mit Donnerstimme. Und sie stammte aus einem stolzen walisischen Geschlecht, dem die Blutrache heilig war - eine Pflicht, die sogar die Trauer verdrängte.
    Als die anderen näher kamen und einer die Hand ausstreckte, um Rhisiart zu berühren, war sie es, die schützend die Hände über den Toten hielt. »Nein!« befahl sie. »Laßt ihn... «
    Cadfael hatte seinen Arm gesenkt und fragte sich,

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