Im Namen der Heiligen
ihn nachdenklich und skeptisch ansah.
»Nun, zumindest ich bin bei klarem Verstand, mein Kind, und ich kann und werde tun, worum du mich nicht gebeten hast.« Er trat zu der Totenbahre, legte eine Hand auf Rhisiarts Herz und drückte ihm mit dem Daumen das Kreuzzeichen auf die Stirn.
Sie verließen die Kapelle und folgten der Prozession, die sich langsam dem Dorf näherte.
»Was können wir sonst noch tun?« fragte Sioned. »Wenn dir etwas einfällt, sag es mir. Bis jetzt hatten wir Pech. Und heute soll er begraben werden.«
»Ich weiß«, entgegnete Cadfael mit gerunzelter Stirn. »Und was diese nächtliche Szene betrifft - da bin ich mir nicht ganz im klaren. Vielleicht hat man alles geplant, um unserem Anspruch durch ein weiteres Wunder Gewicht zu verleihen. Dagegen spricht jedoch zweierlei. Prior Roberts Erstaunen und Besorgnis erschienen mir echt und nicht geheuchelt. Und Columbanus geriet schon öfter in solche Zustände. Die Visionen befallen ihn mit solcher Macht, ich kann kaum glauben, daß er Theater spielt. Ein Gaukler auf dem Jahrmarkt, der seinen Lebensunterhalt verdient, indem er vom Teufel Besessene mimt, könnte Columbanus nicht übertreffen. Ich weiß einfach nicht, was ich dazu sagen soll. Offenbar gibt es Menschen, deren Seele auf des Messers Schneide lebt - die manchmal dazu getrieben werden, sich selbst in die Luft zu schleudern und es dem Himmel oder der Hölle zu überlassen, in welche Richtung sie fallen werden.«
»Ich weiß nur, daß mein Vater, den ich liebte, ermordet wurde«, erwiderte Sioned tonlos, »und ich möchte, daß der Mörder bestraft wird. Aber ich will nicht, daß er mit seinem Blut bezahlt. Es gibt keinen Preis, der Rhisiarts Blut ebenbürtig wäre.«
»Ich weiß, ich weiß. Ich stamme ebenso wie du aus Wales. Aber verschließe dein Herz nicht vor Gefühlen wie Mitleid und dergleichen. Wer weiß, wann auch wir - du und ich einmal die Barmherzigkeit unserer Mitmenschen brauchen werden? Übrigens - hast du mit Engelard gesprochen? Geht es ihm gut?«
Sie begann zu zittern, das Blut stieg ihr in die Wangen, ihre Züge wurden weicher, und sie erinnerte ihn an eine erfrorene Blume, die der Südwind wunderbarerweise zu neuem Leben erweckt. Aber sie antwortete nicht, und das war auch gar nicht nötig.
»Ihr werdet zusammen glücklich sein«, meinte Cadfael zufrieden. »Rhisiart würde das auch wollen, obwohl er sich dagegen gewehrt hat - wie es seine Pflicht als walisischer Herr war. Du wußtest immer, daß du letzten Endes deinen Willen durchsetzen würdest, und damit hattest du recht. Hör mir jetzt zu - du solltest zweierlei tun. Wir müssen alles versuchen, was in unserer Macht steht. Geh jetzt nicht nach Hause. Annest wird dich in Beneds Schmiede bringen, dort kannst du dich ausruhen. Und dann kommt ihr beide zur Morgenmesse. Wer weiß, was wir erfahren werden, wenn unser halbflügger Heiliger wieder zur Besinnung kommt? Und wenn du Rhisiart zu Grabe trägst, sorge dafür, daß Peredur mit seinem Vater auf den Friedhof kommt. Sonst könnte er versuchen, sich davor zu drücken - nachdem er dir bis jetzt erfolgreich ausgewichen ist. Aber wenn du ihn darum bittest, kann er sich nicht weigern, der Bestattung beizuwohnen. Was Peredur angeht, bin ich mir immer noch nicht im klaren.«
8.
Es war die kleine Kirchenglocke, die Columbanus kurz vor dem Beginn der Messe aus seinem verzückten Schlaf riß. Sie weckte ihn nicht vollends, bewog ihn aber immerhin, die Augen zu öffnen, zu zittern, die steifen Arme zu bewegen und die Hände vor der Brust zu falten. Ansonsten veränderte sich sein Gesicht nicht, und er schien die Brüder nicht wahrzunehmen, die sich besorgt um sein Bett versammelt hatten. Columbanus sah und hörte nichts außer der Glocke, die ihn zum Gebet rief. Er richtete sich auf, erhob sich von seinem Lager und stand sicher auf beiden Beinen. Sein Blick begann zu leuchten, doch er wirkte immer noch geistesabwesend.
»Bald wird er wieder bei uns sein«, flüsterte der Prior erschüttert. »Laßt uns gehen - wir wollen nicht versuchen, ihn in diese Welt zurückzuholen. Wenn er sein Dankgebet gesprochen hat, wird er zu uns kommen und berichten, was ihm widerfahren ist.«
Robert verließ als erster das Haus, und wie er es erwartet hatte, folgte ihm Bruder Columbanus als letzter, so wie es ihm, dem jüngsten der Mönche, nun zukam, nachdem John in Ungnade gefallen war. Demütig betrat er die Kirche, demütig nahm er am Gottesdienst teil und schien sich immer
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