Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Namen der Heiligen

Im Namen der Heiligen

Titel: Im Namen der Heiligen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
Vom Netzwerk:
»Die Geschichte unseres Klosters wird unsere Namen festhalten, und die Brüder künftiger Generationen werden uns beneiden.«
    »Ich habe bereits gehört, daß Prior Robert die Geschichte der heiligen Winifred schreiben und das Werk mit ihrer Überführung nach Shrewsbury abschließen will«, bemerkte Cadfael trocken. »Ich weiß nicht, ob er die Namen aller seiner Begleiter nennen wird.« Deiner wird ganz bestimmt erwähnt, fügte er in Gedanken hinzu, denn du bist der Glückliche, der in Holywell von seinem schlimmen Leiden geheilt wurde und den Stein ins Rollen brachte. Auch Jerome, dessen Vision dich hierhergeführt hat, wird entsprechend gewürdigt werden. Doch meinen Namen wird der Prior sicher verschweigen - um so besser...
    »Ich muß für eine Verfehlung büßen«, erinnerte sich Columbanus voller Demut, »denn ich habe in dieser Kapelle meine Pflicht vergessen - ausgerechnet ich, der ich allen Grund habe, die heilige Winifred zu ehren.« Sie hatten das morsche Gatter erreicht, und vor ihnen lag der verwilderte Friedhof, durch den ein schmaler Pfad führte - im hohen Gras kaum zu erkennen. »Hier spüre ich immer wieder, daß mich der Atem des Heiligen anweht«, flüsterte der junge Mann mit bebender Stimme. »Und ich werde von einem Licht umhüllt. Ich glaube, ein Wunder steht uns bevor, ein Gnadenbeweis. Welch warmherzige Geste unserer Heiligen wäre es, mir, der ich einschlief, statt zu ihr zu beten, ein solches Erlebnis zu gewähren!«
    Er eilte zu der offenen Kapellentür, der Eifer beschleunigte seine Schritte, und seine erhobenen Arme schienen sich eher einer Geliebten entgegenzustrecken als einer Heiligen, der er seine Reverenz erweisen wollte. Cadfael folgte ihm resigniert, aber mißmutig. Zwar hatte er sich längst an diese Demonstration religiöser Glut gewöhnt, doch es behagte ihm keineswegs, daß er ihnen eine ganze Nacht lang ausgeliefert sein würde, in einer winzigen Kapelle. Er wollte nicht nur beten, sondern auch nachdenken, und Columbanus war für beide Aktivitäten ein Hindernis.
    In der Kapelle roch es nach altem Holz, Weihrauch, Staub und Verfall. Die dunkelgelbe Flamme einer kleinen Öllampe brannte auf dem Altar. Cadfael zündete die beiden Kerzen an und stellte sie zu beiden Seiten der Lampe auf. Durch das Ostfenster wehte eine Brise herein, die nach Maiblüten duftete und die Flammen flackern ließ. Ihr schwacher, tanzender Schein drang nicht mehr in dunkle Ecken des Raumes und erreichte nur einen Teil der Wände. Sie befanden sich in einer kleinen Höhle, erfüllt von bräunlichem Halbdunkel, und der trübe, bebende Schimmer fiel auf einen leeren Schrein und einen Toten, der noch nicht in seinem Sarg lag, und zeichnete undeutlich die Umrisse der beiden Betstühle ab, die in einiger Entfernung vom Katafalk standen, näher bei der Totenbahre. Der schwarzsilberne Schrein ragte wie ein niederer Wall auf, der Rhisiart von den Altarlichtern trennte und ihn überschattete.
    Bruder Columbanus verneigte sich unterwürfig vor dem Altar und nahm dann seinen Platz im Betstuhl zur Rechten ein. Cadfael begab sich in den linken und suchte und fand den besten Platz für seine Knie - ein Ergebnis langjähriger Übung. Er bereitete sich auf die lange Nachtwache vor und sprach ein Gebet für Rhisiart - nicht das erste. Das Dunkel und das diffuse Licht, das langsame Fluten der Zeit, die von einem Anfangspunkt außerhalb seines Fassungsvermögens zu einem Punkt floß, zu dem er ihr nicht folgen konnte, die Einsamkeit ringsum und die beladene Welt - all das vereinte sich zu einem unabänderlichen stetigen Rhythmus, so vollkommen wie der Schlaf. Er dachte nicht mehr an Columbanus - vergaß, daß Columbanus existierte. Er betete im Einklang mit seinen Atemzügen, formulierte keine Worte, brachte keine Bitten vor, umfaßte nur in seinem Herzen, wie verletzte Vögel in hohlen Händen, all die Menschen, die wegen dieser kleinen Heiligen leiden mußten - denn wenn er um dieser Leute willen so litt, was würde da erst in ihr vorgehen?
    Die Kerzen würden bis zum Morgen brennen, und instinktiv maß er die Zeit an der Geschwindigkeit, mit der sie kleiner wurden. Und so wußte er, wann es auf Mitternacht zuging.
    Er dachte gerade an Sioned, der er am Morgen nichts zu bieten haben würde außer sich selbst (denn Columbanus, das bigotte Unschuldslamm, zählte nicht), als er plötzlich seltsame Laute zu seiner Rechten hörte. In völliger Versunkenheit beugte sich sein Gefährte vor, das Gesicht nicht mehr in den

Weitere Kostenlose Bücher