Im Namen der Heiligen
Gedanken, entwickelte sich zur langwierigsten, unerträglichsten Nacht, die er je erlebt hatte.
Das erste Taubengrau, das die Finsternis erhellte, erschien ihm wie eine Gnade, denn es kündigte die baldige Erlösung an. Der schmale Fleck des Altarfensters, durch das er den Himmel sehen konnte, wurde immer heller, färbte sich safrangelb, dann golden. Ein wolkenloser Morgen brach an, der erste Sonnenstrahl fiel auf den Altar, den Reliquienschrein, die verhüllte Leiche, durchfuhr dann wie ein Schwert die ganze Kapelle und ließ nur Columbanus im Dunkeln. Nach wie vor lag er reglos da, doch er atmete tief und regelmäßig. Kein Wort drang zu ihm durch, keine Berührung.
Er befand sich immer noch im selben Zustand, als Robert und die Brüder, Sioned und Annest und die Dorfbewohner kamen. Von den entlegensten Gehöften waren sie herbeigeeilt, schweigend und aufmerksam, um das Ende der dreitägigen Vigilie mitzuerleben.
Sioned trat zuerst ein, und nach dem gleißenden Sonnenschein war sie zunächst vom Dunkel in der Kapelle geblendet. Sie blieb in der Tür stehen, bis sich ihre Augen an die Veränderung gewöhnt hatten. Prior Robert stand hinter ihr, als ihr Blick auf Bruder Columbanus' Sandalen fiel, die soeben von einem Sonnenstrahl berührt wurden, während sein restlicher Körper im Schatten blieb. Entsetzt und verwundert hob sie die Brauen, und bevor Cadfael aufstehen und sie beruhigen konnte, rief sie mit scharfer Stimme: »Was hat das zu bedeuten? Ist er tot?«
Der Prior schob sie zur Seite und eilte an ihr vorbei, dann hielt er inne, als sein Fuß auf Columbanus' Kutte stieg. »Was ist geschehen? Columbanus! Bruder!« Er bückte sich und legte eine Hand auf die starre Schulter. Columbanus schlief und träumte weiter, ohne sich zu rühren. »Bruder Cadfael, was hat ihn befallen?«
»Er ist nicht tot« entgegnete Cadfael, um zunächst die wichtigste Frage zu beantworten, »und ich glaube auch nicht, daß er in Gefahr ist. Er atmet ganz gleichmäßig, als würde er friedlich schlafen. Er fiebert nicht, und er ist unverletzt. Um Mitternacht stand er plötzlich auf, trat vor den Altar, breitete die Arme aus und fiel wie in Trance zu Boden. Und seither liegt er so da, völlig reglos.«
»Du hättest uns holen sollen«, sagte der Prior erschüttert.
»Ich mußte meine Pflicht erfüllen und die Vigilie abhalten. Außerdem hättet ihr nicht mehr für ihn tun können als ich. Ich schob ihm ein zusammengefaltetes Tuch unter den Kopf und deckte ihn zu, das mußte genügen. Er hätte es uns sicher nicht gedankt, wenn wir ihn von hier weggebracht hätten. Er hat seine Vigilie getreulich abgehalten, auf seine Art. Wenn es uns jetzt nicht gelingt, ihn zu wecken, können sie ihn wohl in sein Bett bringen, ohne sein Pflichtgefühl zu verletzen.«
»Du hast recht«, meinte Bruder Richard. »Vater Prior, du weißt, daß Bruder Columbanus schon mehrmals Visionen hatte, und es wäre sicher nicht richtig gewesen, ihn von einem Ort zu entfernen, wo ihm solche Gnade zuteil wurde. Vielleicht hätten wir damit sogar die Heilige gekränkt - falls sie es war, die ihm erschienen ist. Er wird zur rechten Zeit erwachen, und womöglich würde es ihm sogar schaden, schon jetzt aus dem Schlaf gerissen zu werden.«
»Das stimmt«, sagte der Prior sichtlich beruhigt. »Er scheint ganz ruhig zu schlafen, und er hat offenbar keine Schmerzen. Seltsam - wäre es denkbar, daß an diesem jungen Bruder erneut ein Wunder geschehen ist - so wie jenes, das uns zur heiligen Winifred geführt hat?«
»Er war wieder einmal das Instrument einer großen Gnade«, sagte Richard. »Tragen wir ihn in Cadwallons Haus, legen wir ihn in ein Bett, sorgen wir dafür, daß er seine Ruhe hat - und dann wollen wir abwarten. Oder sollten wir ihn in Vater Huws Pfarre bringen, damit er näher bei der Kirche ist? Wenn er erwacht, wird er vermutlich sofort dem Himmel danken wollen.«
Sie hüllten Columbanus in mehrere Altartücher und fertigten Schlingen aus ihren Gürteln an. Dann hoben sie Columbanus, der immer noch steif wie ein Brett war und die Arme ausgebreitet hielt, vom Boden auf, und legten ihn auf die improvisierte Bahre. Er ließ alles mit sich geschehen und gab nicht zu erkennen, ob ihm bewußt war, was sie mit ihm machten. Ein paar Einheimische, die das Spektakel ehrfürchtig beobachtet hatten, kamen nun näher, um den Brüdern zu helfen. Mit vereinten Kräften trugen sie ihn durch den Wald zu Huws Haus. Cadfael ließ sie gehen und wandte sich zu Sioned, die
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