Im Namen der Heiligen
gefalteten Händen verborgen, sondern emporgewandt zu dem Licht, das ihn zu durchdringen schien, und so schwach es auch war - es zeichnete sein Profil in primelgelber Blässe nach. Seine Augen waren weit geöffnet, starrten durch die Wand der Kapelle hindurch, seine Lippen sangen in inniger Verzückung ein lateinisches Lied, das die Jungfräulichkeit pries. Die Worte waren kaum verständlich - und trotzdem klar wie in einem realistischen Traum. Und bevor es Cadfael noch voll zu Bewußtsein kam, was er da hörte, sah er Columbanus aufspringen und vor den Altar treten. Der Gesang verstummte. Und plötzlich richtete sich Columbanus zu seiner ganzen Größe auf, warf den Kopf in den Nacken, als könnte er durch das Dach die Frühlingsnacht mit ihren Sternen sehen, und breitete die Arme aus wie ein Gekreuzigter. Er stieß einen unartikulierten Schrei aus, der Schmerz und gleichzeitig Triumph ausdrückte, dann fiel er vornüber auf den Lehmboden, immer noch mit ausgebreiteten Armen, und blieb still liegen, lang ausgestreckt, die Stirn auf den Saum des Altartuches gepreßt, das von Rhisiarts Bahre herabhing.
Cadfael stand rasch auf und ging zu ihm, hin und her gerissen zwischen Besorgnis und angewiderter Resignation. Was habe ich auch von diesem Idioten erwartet, fragte er sich seufzend, kniete nieder, faltete einen Teil des weißen Tuchs, damit Columbanus bequemer lag, und drehte den Kopf des jungen Mannes zur Seite, so daß er freier atmen konnte. Ich hätte die Anzeichen erkennen müssen. Er läßt sich keine Gelegenheit entgehen, um in mystischer Ekstase zu versinken. Eines Tages wird er sich von diesem visionären Licht verschlingen lassen und nie mehr zurückkehren. Andererseits habe ich schon oft bemerkt, daß er der Länge nach hinfällt, ohne sich weh zu tun, daß er während seiner religiösen Zuckungen - mögen sie von seinen Visionen oder Sünden hervorgerufen werden - gegen keine harten oder scharfkantigen Gegenstände stößt und sich nicht einmal in die Zunge beißt. Dieselbe Art der Vorsehung, die Betrunkene schützt, scheint auch Columbanus vor Unheil zu bewahren. Und im Hintergrund seines Bewußtseins überlegte Cadfael mißmutig, daß in allem eine gewisse Moral liegen müßte - wenn man alle Exzesse zusammennahm.
Jedenfalls zuckte Columbanus diesmal nicht. Er hatte einfach gesehen, was er gesehen oder zu sehen geglaubt hatte, dann war er umgefallen. Cadfael rüttelte ihn sanft an der Schulter, dann etwas kräftiger, aber Columbanus rührte sich nicht. Seine Stirn war kühl und glatt, seine Züge, die Cadfael im schwachen Licht nur undeutlich sah, wirkten heiter und friedlich. Wären nicht die steifen Glieder gewesen und diese unnatürliche Haltung, als läge er ausgestreckt auf einem Kreuz - man hätte glauben können, er würde schlafen. Als Cadfael versuchte, einen Arm des jungen Mannes zu beugen, um ihn auf die Seite zu drehen und in eine bequemere Lage zu versetzen, widerstand das Gelenk allen seinen Bemühungen, und so gab er es schließlich auf.
Was soll ich jetzt machen, fragte er sich. Soll ich meine Vigilie unterbrechen und den Prior und die Brüder holen? Aber was könnten sie für ihn tun, wozu ich nicht ebensogut imstande wäre? Wenn ich ihn nicht wecken kann, schaffen sie das auch nicht. Wenn es an der Zeit ist, wird er wieder zu sich kommen - vorher nicht. Er hat sich nicht verletzt, seine Atemzüge snd tief und gleichmäßig, er fiebert nicht. Warum soll ich die obskuren Freuden eines Menschen stören, wenn sie ihm nicht schaden? Es ist nicht kalt hier drinnen, und ich kann ihn mit einem von diesen Altartüchern zudecken. Das wird ihm sicher gefallen. Wir sind in diese Kapelle gegangen, um unsere Vigilie abzuhalten, und das werden wir auch tun - ich auf meinen Knien, wie es sich gehört, und er an jenem Ort, zu dem ihn seine Träume geführt haben.
Er deckte Columbanus zu, faltete ein Tuch zu einem Kissen zusammen, das er ihm unter den Kopf schob, dann kehrte er in seinen Betstuhl zurück. Was immer Columbanus mit dieser Vision gewonnen hatte - sie beeinträchtigte Cadfaels Denkvermögen und seine Konzentrationsfähigkeit. Wann immer er versuchte, sich auf ein Gebet zu besinnen oder zu überlegen, wie er Sioned helfen könnte, wurde sein Blick von der hingestreckten Gestalt angezogen, und er lauschte, um sich zu überzeugen, daß Columbanus noch atmete. Was er als nutzbringende Nacht erhofft hatte, lag nun wie eine schwere Last auf seiner Seele, diente weder Gebeten noch sinnvollen
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