Im Namen der Heiligen
auszustechen und der Nachfolger deines Priors zu werden - und später wolltest du das Amt des Abtes übernehmen, das Prior Robert zustehen würde. Du wolltest der jüngste Mönch mit einer Mitra werden - in diesem oder in irgendeinem anderen Land. Keine Methode wäre dir zu skrupellos, wenn sie dich nur an die Macht bringt.«
»Nein, nein!« keuchte er, angstvoll an die Wand gepreßt, denn jetzt kam sie auf ihn zu, mit ausgestrecktem Arm, drohend wiesen die Fingerspitzen auf ihn. »Ich habe alles für dich getan - nur für dich! Ich dachte, ich würde deinen Willen erfüllen.«
»Meinen Willen?« Die Stimme schwoll zu einem durchdringenden Schrei an, scharf wie eine Dolchspitze. »Wollte ich, daß du Böses tust - daß du mordest?«
Sie hatte sich einen Schritt zu weit vorgewagt. In wilder Angst schlug er nach ihr, um sie abzuwehren, und fuhr blindlings mit beiden Armen durch die Luft, um zu verhindern, daß sie ihn berührte. Seine linke Hand verfing sich in dem Schleier, der ihr Gesicht verbarg, und riß ihn herunter. Dunkles Haar fiel auf ihre Schultern, seine Finger streiften eine glatte, kühle Wange - kühl, aber nicht kalt, festes junges Fleisch, wo er in seinem namenlosen Grauen erwartet hatte, in die leeren Augenhöhlen eines Totenschädels zu greifen.
Er stieß einen Schrei aus, der in nacktem Entsetzen begann und in wildem Triumph endete. Die Hand, die eben noch vor einer Berührung zurückgeschreckt war, schlang sich in das dichte dunkle Haar. Columbanus reagierte blitzschnell. Es dauerte nur den Bruchteil eines Atemzugs, bis er wußte, daß eine Frau aus Fleisch und Blut vor ihm stand - und es dauerte kaum länger, bis er erkannte, wer sie war, was sie mit ihm gemacht und in welch ungeheuerliche Falle sie ihn gelockt hatte. Einen Atemzug später sagte er sich, daß sie vermutlich keine Komplizen hatte. Allem Anschein nach hatte sie ihm diese Falle ganz allein gestellt. Wenn sie weiterlebte, war er verloren, und wenn sie nicht weiterlebte, wenn sie verschwand... Die Nacht würde noch lange währen, und er war immer noch Herr der Lage, Herr dieser Expedition und der Erbe ihrer glanzvollen Beute.
Es war sein Pech, daß Sioned ebensoviel Geistesgegenwart bewies wie er selbst. Im Dunkel, das ihre Augen nicht durchdringen konnten, hörte sie Columbanus' tiefen Seufzer der Erleichterung, der ihn von seiner Höllen- und Himmelsangst befreite, spürte die Welle tierischer Wut, die von ihm ausging, fast wie ein betäubender Gestank. Instinktiv sprang sie zurück, aus seiner Reichweite, was sie mit ein paar Haarsträhnen bezahlen mußte. Seine Hand tastete nach dem Leinentuch, in das sie sich gewikkelt und das er für Winifreds Totenhemd gehalten hatte - ein Tuch, das nicht so leicht reißen würde wie ihr Haar. Sie wandte sich blitzschnell nach links, um seiner rechten Hand auszuweichen, und da sah sie, wie er in die Brusttasche seiner Kutte griff, sah Metall aufblitzen, als er ihr folgte und blindlings in das Dunkel stach. Und während sie vor der schimmernden Klinge floh, dachte sie: Dies ist der Dolch, der meinen Vater getötet hat.
Irgendwo hatte sich eine Tür geöffnet, denn plötzlich wehte der Nachtwind herein, Sandalen trommelten auf dem Lehmboden, eine breite, kräftige Gestalt näherte sich, und ein warnender Ruf erklang. Bruder Cadfael stürmte von der Sakristei in die Kapelle wie ein rasender Pfeil und warf sich zwischen den Mönch und das Mädchen.
Columbanus wollte gerade zum zweiten Mal zustechen. Mit der Linken umklammerte er das Laken, das Sioned umhüllte. Aber sie drehte sich, so daß ein Teil des Stoffes von ihr fiel, und der Dolchstoß, der für ihr Herz bestimmt war, traf nur ihren linken Unterarm und ritzte schmerzhaft die Haut auf. Plötzlich ließ er das Tuch los, und sie sank gegen die Wand. Columbanus flüchtete durch die Vordertür, während Sioned von starken Armen umfaßt und von einer wütenden Stimme angeschrien wurde: »Um Himmels willen, du dummes Kind, warum bist du ihm zu nahe gekommen? Ich habe dir doch gesagt, daß du hinter dem Schrein stehenbleiben sollst!«
»Lauf ihm nach!« stieß Sioned hervor. »Willst du, daß er entkommt? Er hat meinen Vater ermordet!«
Sie rannten zur Tür, und Cadfael stürzte sich als erster in die Nacht hinaus. Das Mädchen war stark und voller Rachsucht, eine Waliserin mit Leib und Seele. Ohne zu zögern, folgte es ihm, als er den schmalen Weg entlanglief, der zur Friedhofstür führte. Die Nacht war samtig schwarz, mit Sternen
Weitere Kostenlose Bücher