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Im Namen der Heiligen

Im Namen der Heiligen

Titel: Im Namen der Heiligen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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gebüßt hat?«
    »Wenn er das getan hat«, entgegnete Griffith, diesmal mit deutlicher Betonung des Wortes >wenn<, »wird er euch überantwortet.« Damit mußte sich Prior Robert zufriedengeben, obwohl seine rachsüchtige Normannenseele vor Zorn glühte. Auf dem Rückweg konnten ihn Griffiths Berichte über die zahllosen entflohenen Häftlinge, die in diesen Wäldern ihr Dasein fristeten, keineswegs besänftigen. Der Amtmann erzählte, diese Leute würden sogar Freunde unter der Landbevölkerung finden, in Familien aufgenommen werden und teilweise zu hohem Ansehen gelangen. Der Gedanke, ein Vergehen könnte mit der Zeit in Vergessenheit geraten oder sogar toleriert werden, beleidigte Roberts Gerechtigkeitssinn. Er war wahrlich nicht in christlicher Stimmung, als er die Pfarrei erreichte - gerade noch rechtzeitig, um an der Komplet teilzunehmen.
    Alle hatten sich eingefunden, alle bis auf Bruder John - die restlichen fünf Mönche von Shrewsbury und viele Dorfbewohner. Denn sie wollten Columbanus' letzten Ausbruch göttlicher Ekstase miterleben, die nun einzig und allein St. Winifred galt, seiner persönlichen Schutzheiligen, die ihn vom Wahnsinn geheilt hatte und ihm erschienen war, um ihre Wünsche kundzutun. Nach der Komplet trat er vor den Altar und betete mit hoher, klarer Stimme um einen weiteren Gnadenbeweis. Die jungfräuliche Märtyrerin möge ihn auch heute während seiner einsamen Wache in der Kapelle aufsuchen, in der Stille der Nacht, und ihm erneut jene unaussprechliche Glückseligkeit gewähren, aus der er nur widerstrebend in diese unvollkommene Welt zurückgekehrt wäre. Mehr noch - wenn sie ihn diesmal für würdig hielte, seinen Leib zu verlassen, möge sie ihn emportragen in jene Sphäre des Lichts. Demütig versicherte er, daß er auch fürderhin willens wäre, hier unten zu bleiben und seine Pflichten zu erfüllen - doch er wäre von dem heiligen Verlangen besessen, alles Fleischliche abzustreifen, über die Schwelle des Todes zu schreiten, ohne zu sterben, wenn es St. Winifred gefiele.
    Alle Anwesenden erbebten angesichts dieser reinen Tugend - alle außer Cadfael, der nicht einmal mehr vor
    Zorn über die Arroganz dieses Menschen zitterte und seine Gedanken auf andere Dinge konzentrierte.
     

10.
     
    Bruder Columbanus betrat die kleine dunkle Kapelle, die nach Holz und den Gerüchen von Jahrhunderten duftete. Leise schloß er die Tür hinter sich, ohne den Riegel vorzuschieben. Er entzündete keine Kerzen, nur die Öllampe auf dem Altar, deren Docht einen reglosen Lichtkreis verströmte, schwarze Schatten in die Ecken warf und das Silber auf dem schwarzen Holz des Reliquiars, der davor auf dem Tisch stand, aufleuchten ließ.
    Jenseits dieses goldenen Lichts war das Dunkel erfüllt vom Staub des Altars und des Verfalls. Neben dem Altar führte eine Tür in die winzige Sakristei, doch aus jener Richtung kam kein Luftzug, der die Flamme der Öllampe bewegt hätte. Kein Wind wehte, nichts atmete, nichts störte die Stille.
    Bruder Columbanus verneigte sich vor dem Altar - kurz und fast brüsk. Niemand war zu sehen, er war allein gekommen, und auf dem Weg durch die Wälder und über den Friedhof hatte er keine Menschenseele gehört oder erblickt. Er rückte einen Betstuhl in die Mitte der Kapelle, gegenüber dem Schrein. Seine Bewegungen waren viel ruhiger und zweckmäßiger als sonst, wenn er sie vor Publikum vollführte, doch davon abgesehen verhielt er sich wie üblich. Er war gekommen, um die Nacht auf seinen Knien zu verbringen, und das wollte er auch tun. Doch es war überflüssig, sich vor dem Morgen abzuquälen, wenn seine Brüder erscheinen würden, um die heilige Winifred in ehrerbietiger Prozession durch den Wald zu tragen, auf der ersten Etappe ihrer Heimreise. Columbanus machte aus den Falten seiner Kutte ein weiches Polster für seine Knie, dann legte er den Kopf auf die verschränkten Arme. Die Nacht war mild, und das stille Dunkel schläferte ihn ein.
    Es kam ihm so vor, als hätte er nur wenige Minuten geschlummert, als er plötzlich hochschreckte. Aber es waren drei Stunden vergangen, die Mitternacht rückte näher, als sein Schlaf von einem beharrlichen Traum gestört wurde. Irgend jemand - eine Frau - rief immer wieder seinen Namen, mit leiser, klarer Stimme, mit unerschöpflicher, und unerschütterlicher Geduld. »Columbanus... Columbanus...« Sogar im Schlaf spürte er, daß diese Frau unendlich viel Zeit hatte und bereit war, immer wieder nach ihm zu rufen, während ihm

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