Im Namen der Toten - Rankin, I: Im Namen der Toten - The Naming of the Dead
sich wieder in die Akten.
»Wie sieht’s mit seiner Zeit in Edinburgh aus?«, fragte sie.
»Ich habe Mairie darauf angesetzt.« Sie musterte ihn. »Wollte nicht, dass jemand Wind davon bekommt, dass wir immer noch aktiv sind.«
»Und was hat Mairie gesagt?«
»Ihre Antwort war noch nicht endgültig.«
»Zeit, Ellen anzurufen?«
Er wusste, dass sie recht hatte, und erledigte auch diesen Anruf, warnte Ellen aber, vorsichtig zu sein.
»Kaum fangen Sie an, im Rechner zu suchen, haben Sie schon Ihre Visitenkarte hinterlassen.«
»Ich bin schon groß, John.«
»Möglich, aber der Chief Constable beobachtet das Ganze sehr genau.«
»Das geht schon in Ordnung.«
Er wünschte ihr Glück und ließ das Handy wieder in seine Tasche gleiten. »Geht’s Ihnen gut?«, fragte er Siobhan.
»Warum?«
»Sie schienen zu träumen. Haben Sie mit Ihren Eltern gesprochen?«
»Seit sie abgereist sind, noch nicht.«
»Das Beste, was Sie machen können, ist, diese Fotos dem Staatsanwalt zu übergeben und sicherzustellen, dass es zu einer Verurteilung kommt.«
Sie nickte, sah aber nicht überzeugt aus. »Das hätten Sie gemacht, ja?«, fragte sie. »Wenn jemand auf Ihre Lieben losgegangen wäre?«
»Auf der Klippe ist nicht viel Platz, Shiv.«
Sie starrte ihn an. »Was für eine Klippe?«
»Auf der ich immer zu hocken scheine. Sie wissen, dass Sie lieber ein bisschen Abstand halten möchten.«
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Ich will damit sagen: Übergeben Sie die Fotos, und überlassen Sie alles andere dem Richter und den Geschworenen.«
Sie fixierte ihn immer noch mit ihrem Blick. »Wahrscheinlich haben Sie recht.«
»Keine Alternative«, fügte er hinzu. »Keine, über die Sie je würden nachdenken wollen.«
»Das stimmt.«
»Sie könnten auch immer noch mich bitten, Mr. Baseballmütze windelweich zu prügeln.«
»Sind Sie dafür nicht ein bisschen zu alt?«, fragte sie mit der Andeutung eines Lächelns.
»Wahrscheinlich schon«, gab er zu. »Einen Versuch wäre es vielleicht trotzdem wert.«
»Das ist nicht nötig. Ich will nur die Wahrheit.« Sie überlegte einen Moment. »Ich meine, als ich noch dachte, es wäre einer von uns …«
»So wie die Woche verlaufen ist, hätte das gut sein können«, sagte er leise, zog einen Stuhl hervor und nahm ihr gegenüber Platz.
»Ich hätte es aber nicht ausgehalten, John. Das ist es, worauf ich hinauswill.«
Umständlich drehte er einige der Unterlagen zu sich her. »Sie hätten alles hingeschmissen?«
»Das war eine Option.«
»Aber jetzt ist wieder alles in Ordnung?« Er hoffte auf irgendetwas Beruhigendes. Sie nickte, während sie ebenfalls einen Stoß Papier vom Tisch nahm. »Warum hat er nicht noch mal zugeschlagen?«
Rebus’ graue Zellen brauchten einen Moment zum Umschalten. Er war im Begriff gewesen, ihr zu erzählen, dass er Keith Carberry vor dem Rathaus gesehen hatte. »Keine Ahnung«, gab er schließlich zu.
»Ich meine, die legen doch dann zu, oder? Wenn sie erst einmal auf den Geschmack gekommen sind.«
»So lautet jedenfalls die Theorie.«
»Und hören nicht einfach auf?«
»Manche vielleicht doch.Was immer sie in sich haben … vielleicht wird es irgendwie geerdet.« Er zuckte die Achseln. »Ich behaupte nicht, dass ich mich damit auskenne.«
»Ich auch nicht. Deshalb werden wir uns mit einer Person treffen, die es angeblich tut.«
»Was?«
Siobhan sah auf die Uhr. »In einer Stunde. Wir haben also gerade noch genug Zeit zu entscheiden, welche Fragen wir ihr stellen müssen …«
Die psychologische Fakultät der Universität von Edinburgh befand sich am George Square. Zwei Seiten des ursprünglich aus dem 18. Jahrhundert stammenden Komplexes waren dem Erdboden gleichgemacht und durch eine Reihe von Betonklötzen ersetzt worden, aber die psychologische Fakultät hatte ihren Sitz in einem älteren, zwischen zwei solchen Blocks eingeklemmten Gebäude. Dr. Roisin Gilreagh hatte einen Raum im obersten Stock, mit Blick über den Park.
»Angenehm ruhig um diese Zeit«, bemerkte Siobhan. »Ich meine, wenn die Studenten weg sind.«
»Außer dass der Park im August Schauplatz verschiedener Aufführungen innerhalb des Fringe-Festivals ist«, erwiderte Dr. Gilreagh.
»Und damit ein ganz neues menschliches Labor bietet«, fügte Rebus hinzu. Das Zimmer war klein und sonnendurchflutet. Dr. Gilreagh war Mitte dreißig, mit dichten blonden Locken, die ihr über die Schultern fielen, und eingefallenen Wangen, in denen Rebus trotz ihres eindeutig lokalen
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