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Im Namen der Toten - Rankin, I: Im Namen der Toten - The Naming of the Dead

Im Namen der Toten - Rankin, I: Im Namen der Toten - The Naming of the Dead

Titel: Im Namen der Toten - Rankin, I: Im Namen der Toten - The Naming of the Dead Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
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immer noch?«, wollte Gates wissen.
    Mit einem unsicheren Blick in die Runde fragte sich der Assistent, gegen welche Vorschrift er verstoßen hatte. »Ich musste doch die Instrumente fertig machen …«
    »Bis auf uns ist das Haus verlassen«, fuhr Gates ihn an. »Schauen Sie nach, ob es ihr gut geht.«
    »Ich werde das tun«, erklärte Rebus.
    Gates drehte sich zu ihm, während er behutsam einen Haufen glitzernder Eingeweide ablegte. »Was ist los, John? Haben Sie keine Lust mehr?«
     
    Im Warteraum war niemand. Eine leere Tasse mit dem Wappen des Glasgow Rangers FC stand neben einem Stuhl auf dem Boden. Rebus berührte sie: noch warm. Er ging zum Haupteingang. Besucher betraten das Gebäude von einer Seitengasse der Cowgate aus. Rebus schaute die Straße entlang, sah aber niemanden. Dann bog er um die Ecke in die Cowgate und entdeckte eine Gestalt auf der niedrigen Mauer vor der Leichenhalle sitzen. Sie starrte den Kindergarten auf der anderen Straßenseite an. Rebus blieb vor ihr stehen.
    »Haben Sie eine Zigarette?«, fragte sie.
    »Möchten Sie eine?«
    »Ob jetzt oder wann anders ist doch egal.«
    »Das heißt, Sie rauchen eigentlich nicht.«
    »Ja und?«
    »Da werde ich Sie nicht verderben.«
    Zum ersten Mal schaute sie ihn an. Sie hatte kurze blonde Haare und ein rundes Gesicht mit einem vorstehenden Kinn. Ihr Rock war knielang; über braunen Stiefeln mit Pelzbesatz lugten drei Zentimeter Bein hervor. Neben ihr auf der Mauer lag eine übergroße Tasche, vermutlich alles, was sie – hastig, planlos – eingepackt hatte, bevor sie sich auf den Weg gen Norden gemacht hatte.
    »Ich bin DI Rebus«, stellte er sich ihr vor. »Tut mir leid wegen Ihres Bruders.«
    Sie nickte langsam, während ihr Blick wieder zu dem Kindergarten wanderte. »Ist der in Betrieb?«, fragte sie und deutete mit dem Finger darauf.
    »Soweit ich weiß, ja. Natürlich ist er heute nicht geöffnet …«
    »Aber es ist ein Kindergarten.« Sie wandte sich dem Gebäude hinter ihr zu. »Und nur eine Straßenbreite von dem da entfernt. Ziemlich kurzer Weg, finden Sie nicht auch, DI Rebus?«
    »Da haben Sie vermutlich recht. Es tut mir leid, dass ich nicht da war, als Sie die Leiche identifiziert haben.«
    »Warum? Kannten Sie Ben?«
    »Nein … Ich dachte nur... Wie kommt es, dass niemand bei Ihnen ist?«
    »Wer zum Beispiel?«
    »Aus seinem Wahlkreis … seiner Partei.«
    »Labour schert sich doch jetzt einen Dreck um ihn!« Sie lachte kurz auf. »Die posieren gerade fürs Foto an der Spitze dieser verdammten Demonstration. Ben sagte immer wieder, wie nah er dem schon gekommen sei, was er ›die Macht‹ nannte. Hat ihm nicht viel gebracht.«
    »Vorsicht!«, warnte Rebus. »Sie klingen, als passten Sie genau zu den Demonstranten.« Sie schnaubte nur. »Irgendeine Ahnung, warum er …?« Rebus brach ab. »Sie wissen, dass ich Sie fragen muss?«
    »Ich bin im Polizeidienst, genau wie Sie.« Sie sah zu, wie er das Päckchen hervorzog. »Nur eine«, bettelte sie. Wie konnte er ihr das abschlagen? Er zündete beide Zigaretten an und lehnte sich neben sie an die Mauer.
    »Keine Autos«, bemerkte sie.
    »Die Stadt ist zu«, erklärte er. »Sie werden Mühe haben, ein Taxi zu bekommen, aber mein Auto steht …«
    »Ich kann zu Fuß gehen«, erwiderte sie. »Er hat keinen Brief hinterlassen, wenn Sie das wissen wollten. Er schien gut drauf zu sein, gestern Abend, sehr entspannt und so. Die Kollegen können es sich nicht erklären … keine Probleme bei der Arbeit.« Sie hielt inne, hob den Blick zum Himmel. »Außer dass er bei der Arbeit immer Probleme hatte.«
    »Hört sich an, als hätten Sie einander sehr nahe gestanden.«
    »Unter der Woche war er meistens in London. Wir hatten uns vielleicht einen Monat lang nicht gesehen – es könnten sogar zwei gewesen sein -, aber wir haben uns geschrieben, per E-Mail …« Sie zog an der Zigarette.
    »Er hatte Probleme bei der Arbeit?«, fragte Rebus nach.
    »Ben hatte mit Entwicklungshilfe zu tun, musste entscheiden, welche verkommenen afrikanischen Diktaturen unsere Hilfe verdienten.«
    »Das erklärt, warum er hier war«, sagte Rebus, mehr zu sich selbst.
    Sie nickte langsam und traurig. »Der Macht näherkommen – ein Abendessen mit allen Schikanen im Edinburgh Castle, und dabei wird über die Armen und Hungrigen der Welt diskutiert.«
    »Die Ironie war ihm doch bewusst, oder?«, erkundigte sich Rebus.
    »O ja.«
    »Und die Sinnlosigkeit?«
    Sie schaute ihm fest in die Augen. »Nie«, antwortete sie

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