Im Namen der Toten - Rankin, I: Im Namen der Toten - The Naming of the Dead
Polizisten demonstrierten ihre Präsenz. Sie trugen runde Schilde, wie Siobhan sie noch nie gesehen hatte. Der Bereich um die Canning Street war nach wie vor ein Unruheherd. Auf der Western Approach brachten Demonstranten immer noch den Verkehr zum Erliegen. Das Nachrichtenstudio schaltete wieder zurück zur Princes Street. Die Demonstranten schienen nicht nur gegenüber der Polizei, sondern auch gegenüber den Kameras in der Minderzahl. Viel Geschubse auf beiden Seiten.
»Sie versuchen, einen Streit vom Zaun zu brechen«, sagte Eric Bain. Er war nach Gayfield gekommen, um ihr das Wenige zu zeigen, das er bisher hatte herausfinden können.
»Das hätte doch warten können, bis du bei Mrs. Jensen gewesen bist«, sagte sie, worauf er nur mit einem Schulterzucken reagierte.
Sie waren allein im CID-Büro. »Siehst du, was die machen?«, fragte Bain, einen Finger auf den Bildschirm gerichtet. »Ein Krawallmacher stürzt vorwärts, weicht aber gleich wieder zurück. Der ihm am nächsten stehende Polizist hebt seinen Schlagstock, und die Zeitungen bekommen ein Foto von ihm, wie er den Stock gegen irgendeinen armen Teufel in der ersten Reihe erhebt. In der Zwischenzeit ist der eigentliche Angreifer weiter hinten untergetaucht und schickt sich an, die Aktion zu wiederholen.«
Siobhan nickte. »Vermittelt den Eindruck, wir würden zu hart vorgehen.«
»Das ist ja genau das, was die Gewaltbereiten wollen.« Er verschränkte die Arme. »Seit Genua haben sie sich ein paar Tricks zugelegt …«
»Wir aber auch«, meinte Siobhan. »In-Schach-Halten zum Beispiel. Die Gruppe in der Canning Street ist nun schon seit vier Stunden eingekesselt.«
Wieder im Studio, hatte einer der Moderatoren eine Liveschaltung zu Midge Ure, der den gewaltbereiten Demonstranten gerade sagte, sie sollten nach Hause gehen.
»Schade, dass niemand von denen zuschaut«, kommentierte Bain.
»Wirst du mit Mrs. Jensen sprechen?«, fragte Siobhan.
»Ja, Chefin. Wie fest soll ich sie in die Mangel nehmen?«
»Ich habe sie schon darauf hingewiesen, dass wir sie wegen Behinderung polizeilicher Ermittlungen drankriegen könnten. Erinnere sie daran.« Siobhan schrieb die Adresse der Jensens auf ein Blatt aus ihrem Notizbuch, riss es heraus und reichte es ihm. Bains Aufmerksamkeit galt wieder dem Bildschirm. Mehr Livebilder aus der Princes Street. Ein paar Demonstranten waren auf das Scott Monument geklettert. Andere stiegen über den Zaun in den Park. Fußtritte zielten auf Schilde. Erdklumpen flogen durch die Luft. Als Nächstes waren Bänke und Mülleimer an der Reihe.
»Das wird richtig übel«, murmelte Bain. Der Bildschirm flackerte. Ein neuer Schauplatz: Torphichen Street, Standort des städtischen Polizeireviers West End. Hier wurden Stöcke und Flaschen geworfen. »Gut, dass wir nicht dort festsitzen«, war Bains ganzer Kommentar.
»Nein, dafür sitzen wir hier fest.«
Er schaute sie an. »Wärst du lieber mittendrin?«
Sie zuckte mit den Schultern, starrte auf den Bildschirm. Jemand rief über Handy im Studio an: eine Frau, die mit vielen anderen Kundinnen und Kunden in der Filiale von British Home Stores in der Princes Street eingeschlossen war.
»Wir sind nur Zuschauer!«, kreischte die Frau. »Alles, was wir wollen, ist, dass sie uns hier rauslassen, aber die Polizei behandelt uns alle gleich … Mütter mit Babys … alte Leute …«
»Wollen Sie damit sagen, dass die Polizisten überreagieren?«, fragte der Journalist im Studio. Siobhan nahm die Fernbedienung und zappte weiter: Columbo auf einem Kanal, Diagnose: Mord auf einem anderen … Und ein Film auf Channel Four.
»Das ist Kidnapped«, erklärte Bain. »Ganz hervorragend.«
»Entschuldige, dass ich dich enttäusche«, sagte sie, als sie zu einem anderen Nachrichtensender weiterschaltete. Dieselben Ausschreitungen; andere Blickwinkel. Der Demonstrant, den sie in der Canning Street gesehen hatte, saß immer noch auf seiner Mauer und ließ die Füße baumeln; durch den Schlitz in seiner Sturmhaube waren nur die Augen zu sehen. Er hielt sich ein Handy ans Ohr.
»Das erinnert mich an etwas«, fiel Bain ein. »Ich hatte Rebus an der Strippe, und er hat mich gefragt, ob eine abgeschaltete Nummer nach wie vor aktiv sein könne.«
Siobhan schaute ihn an. »Hat er gesagt, warum?« Bain schüttelte den Kopf. »Und was hast du ihm geantwortet?«
»Man kann die SIM-Karte klonen oder nur ausgehende Gespräche spezifizieren.« Er zuckte die Achseln. »Da sind der Möglichkeiten
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