Im Namen Des Schweins
Beethoven mir erzählt.«
»Am schlimmsten ist der Kainsmal. Der hat keinen Respekt. Und wenn der was getrunken hat … Eieiei …«
»Ja, das sagen alle.«
»Der war vor Sankt Martin bei uns Schlachter … Aber jetzt arbeitet er nur noch für den Eigentümer. Als ich hier ankam, hat der mir mit seinen Freunden aus dem Tal das Leben zur Hölle gemacht. Ich sollte vor ihnen auf Französisch beten, oder sie beschimpften mich als Schwuchtel wegen meinem Eau de cologne … Das ist wie eine Obsession bei ihm. Der beschimpft jeden als schwule Sau und das Tag und Nacht … Bis auf den Metzger, bei dem traut er sich nicht. Die beiden sind auch niemals zusammen im selben Lokal, sobald der Metzger erscheint, verzieht sich Kainsmal schleunigst. Irgendetwas ist mit den beiden, aber bei denen hier aus dem Dorf weiß man ja nie …«
»Beethoven erzählte, dass er gern mit Kräutern experimentiert …«
»Ja, das weiß jeder. Stechapfel. Schon mal davon gehört?«
»Kommt mir bekannt vor. Ist das nicht ein Halluzinogen?«
»Ja, ein Hexenkraut. Im Mittelalter haben sie … magische Cremes daraus gemacht. Sie haben das Kraut unter das Tierfett gemischt … Und sich die Pomade manchmal mit einem Besenstiel in die Vagina geschmiert. Daher kommt das Bild von der Hexe, die auf einem Besen reitet …«
»Wie passend …«
»Aber es funktioniert auch als Tee. Sei also vorsichtig mit den Getränken, wenn Kainsmal in der Nähe ist …«
***
Bevor P das Hostal verlässt, greift er mit der Hand ins Necessaire, holt das Schmuckkästchen heraus, das lose darin herumfliegt und steckt es in seine Strickjackentasche.
Draußen ist es neblig. Ein dünner Nebel, der leicht um den Kirchturm herumschwebt. Der Morgen ist kühl, aber die Sonne lässt darauf hoffen, dass die Luft sich bald erwärmt. P schaut im Café unter den Arkaden vorbei, um einen cortado zu trinken und eine erste Zigarette zu rauchen. Er plaudert ein wenig mit Susi, die ihn eigentlich jeden Morgen fragt, wie es bei ihm läuft. Nur heute morgen hat er keine Lust, ihr alle Neuigkeiten vom Vortag zu erzählen: Wen er kennengelernt hat, wen er immer noch nicht kennt. Außerdem mag er nicht darüber reden, was er heute Vormittag vorhat.
Als er wieder auf der Straße steht, geht er Richtung Brückenstraße, einem kleinen Weg, der am Bach entlang von den Siedlungen wegführt. Hinter den letzten, niedrigen Steinhäuschen, die sehr viel einfacher sind als die an der Hauptstraße, taucht die Ruine einer alten Mühle auf. Das Dach fehlt und die Außenmauern sind entkernt. Danach kommt eine Steinbrücke, die über den Bach führt, und gleich darauf, an einer Kreuzung, stößt er auf einen Weg, der, ohne schmaler zu werden, zum Wald hinaufführt und breit genug ist für die großen Lastwagen. Die Radspuren glitzern im Raureif auf dem Boden. Das Laubwerk, das vom Hin und Her der Kühlwagen etwas mitgenommen aussieht, bildet eine Art Hohlweg, durch dessen zartes Dach die Sonne dringt. P erahnt aus der Ferne einen rot-weißen Industriekomplex, der sich ins Dickicht duckt wie ein notgelandetes Raumschiff. Zwischen den Bäumen ist der viereckige Turm mit dem Logo »Uni-Pork« zu erkennen, das sich leuchtendrot vom weißen Untergrund abhebt. Am Ende dieser kaum noch als Weg zu bezeichnenden, schlecht asphaltierten Strecke dreht er sich nach links und sieht das offene Tor. Es wird von einem Pförtner bewacht, der sich in seinem Häuschen im Stuhl zurücklehnt, als er P näher kommen sieht.
»Guten Tag«, sagt P. Der Pförtner antwortet nicht, sondern kurbelt erst einmal das kleine Fenster herunter, um ihn besser zu verstehen.
»Hallo«, wiederholt P, »ich bin auf dem Weg zur Verwaltung …«
Der Mann sieht ein bisschen aus wie der alte Lionel Barrymore in Ist das Leben nicht schön , und seine Hände sind in gleicher Weise von der Arthrose verunstaltet. Mr. Potter an der Schranke. Er scheint verunsichert. Es dürfte nicht häufig vorkommen, dass hier jemand zu Fuß ankommt, ein Typ, der zur Verwaltung will; weder ein Handelsvertreter, noch ein Großhändler, noch jemand von der Gesundheitsbehörde.
»Werden Sie erwartet?«
»Eher nicht, ich würde nicht vermuten, dass man auf mich wartet.«
»In welcher Angelegenheit?«
»Ich möchte mit dem Verantwortlichen der Personalabteilung sprechen.«
Der Mann zögert. Vielleicht weil es keine Personalabteilung gibt, vielleicht aber auch, weil sie hier einen anderen Namen hat. Aber Ps Auftreten wirkt überzeugend, der Tonfall, das Lächeln,
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