Im Namen Des Schweins
Augen.
Einer hat mich zweimal genommen, ich hörte, wie er sagte, dass er noch einmal will, als sie mich eigentlich bereits losgelassen hatten. Ich konnte mich schon gar nicht mehr bewegen oder mich wehren. Ich habe nur noch geheult von dem Sand in den Augen.«
P hat sich nicht gerührt und hält das Bierglas in der einen Hand. Sie redet weiter. Ihre Stimme ist ganz untypisch für sie; bedächtig, niedergeschlagen: »Das Ganze hat nur eine Stunde gedauert, aber als sie weg waren, war unser Leben mit einem Mal nie mehr wie zuvor. Ich habe die Fesseln bei meinem Freund kaum abbekommen. Ihn hatten sie mit einem Tritt am Kopf übel zugerichtet. Und ich konnte fast nicht mehr laufen, aber habe mich langsam zur Straße geschleppt und die Hand hochgehalten, um ein Auto anzuhalten. Dann kam die Polizei, und ein Krankenwagen hat uns in eine Klinik gebracht … Ich bin dann dort drei Tage geblieben und bekam Beruhigungsmittel. Ich hatte, wie man so schön sagt, nightmares.«
»Albträume«, sagt P.
»Ja, Albträume und … panische Angst. Aber das Schlimmste stand uns noch bevor. Als wir zurück nach Oslo kamen und Wochen und Monate schon vergangen waren, da verheilten so langsam die Wunden und ein Psychologe sagte, dass unser Leben weitergehe.
Weißt Du, was dann passiert ist?«
»Was …?«
»Mein Freund hat erst gesagt, dass wir die Hochzeit besser ein bisschen verschieben. Ich habe ihn gefragt, warum, und das konnte er mir nicht sagen: nur dass es besser wäre, noch ein bisschen zu warten. Er hat mir nicht in die Augen geschaut. Er hat mich auch nicht mehr so berührt wie früher. Weißt Du warum? Weil er das dreckige Mädchen nicht mehr wollte«, ihre Augen sind feucht. »Er hat in seiner guten Familie keine schmutzige und gedemütigte Frau gewollt. Er konnte mich nicht mal mehr richtig küssen: Er hat immer den Kopf weggedreht, so wie Du vor ein paar Tagen im Pub …«
P weiß nicht, was er sagen soll, also bleibt er still. Ihr fällt eine Träne auf die Wange. Sie wischt sie weg, dann dreht sie sich in dem Stuhl zur Seite, so dass nur noch ihr Profil zu sehen ist. Die Tränen laufen still und irgendwann hält sie beide Hände vor ihr Gesicht. P steht auf, um sie zu trösten. »Hey, hey«, er geht zu ihr. Sie steht auf und sagt: »Nein, lass mich.« Aber P hält sie an den Schultern. Sie bleibt ruhig stehen und schaut auf den Boden. P wischt ihr eine Träne mit dem Daumen weg. Sie lässt es zu, dann kommt sie mit den Lippen näher und P kommt ihr die restliche Strecke entgegen, bis er sie küsst. Sie hat die beiden Handflächen auf seine Brust gelegt und für ein paar Sekunden ist es ein süßer, warmer und liebevoller Kuss. Bis sie plötzlich mit den Zähnen seine Unterlippe packt, zubeißt, sich bückt und ihn mit voller Kraft wegstößt, ohne die Lippe loszulassen. P fliegt mit einem Ruck zurück, schreit auf, hält sich mit einer Hand den blutenden Mund. Das Blut tropft auf das Hemd und auf den Boden. Sie schaut ihn längst wieder herausfordernd an, wie eigentlich immer, und lacht und lacht ihr übliches, maßlos maliziöses Lachen: »Dafür, dass Du Bulle bist, bist Du ganz schön bescheuert«, sagt sie zu ihm. Dann hebt sie ihren Anorak vom Boden auf, geht an ihm vorbei, stößt ihn dabei zur Seite und läuft schnell zur Ausgangstür. Als sie in der offenen Tür steht, ruft sie: »Den Schlüssel vom Zigarettenautomat und eine halbe Stunde in Deiner Wohnung: Das ist alles, was Kassandra heute Nacht von Dir wollte, Du mieses Arschloch!«
In der Welt
Der letzte Montag des Kommissars in seinem Büro, noch vor der feierlichen Verabschiedung. Er will gerade aus dem Büro gehen, als das interne Telefon klingelt. Er nimmt im Stehen ab.
»Kommissar, am Telefon ist eine gewisse Susana Ortega vom Ministerium«, sagt Varela.
»Stell sie durch.«
Gleich darauf hört er eine junge, nette Stimme: »Hauptkommissar Pujol?«
»Ja, am Apparat …«
»Entschuldigen Sie, ich rufe vom Instituto de Estudios Aplicados aus New York an …«
Der Kommissar versteht im ersten Augenblick nicht,worum es geht. Sie merkt das an seinem Schweigen:
»Wir gehören zum Außenministerium und sind für die Beziehungen zu Interpol zuständig … Ich bin eine Assistentin hier im Büro. Wenn Sie möchten, kann ich Ihnen gerne meine Kennnummer geben.«
»Ah, ja … Nein, danke, das wird fürs Erste nicht nötig sein … Was kann ich für Sie tun?«
»Ich würde gern mit einem Inspektor Ihrer Abteilung sprechen. In seiner Akte sind Sie als
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