Im Namen Des Schweins
halbe Höhe gekachelt. An den Wänden hängen Flamenco-Gitarren, ansonsten gibt es noch mehr Plastikgeranien und alles ist gleichmäßig fluoreszierend beleuchtet. Es sind noch keine Gäste da, aber die zahlreichen Tische, auf denen Kerzenständer und Vasen mit künstlichen Nelken stehen, deuten auf großen Andrang hin. Im Moment läuft leise im Hintergrund Alejandro Sanz’, Corazón partido. T hüstelt und rückt Stühle, um sich bemerkbar zu machen. Dann taucht ein junger, großgewachsener Latino auf, mit einem Schnurrbart, der aussieht wie eine Ameisenstraße, und einer roten Schärpe, die zwischen der schwarzen Hose und dem weißen Hemd sitzt. Suzanne fragt ihn auf Spanisch, ob sie schon eine Paella bekommen könnten und gestikuliert mit zwei Fingern. Der junge Mann schaut auf seine Uhr und sagt, ja, aber es könne noch etwa eine halbe Stunde dauern. Er hat einen südamerikanischen Akzent, vielleicht auch einen mexikanischen, der Englisch eingefärbt ist. T und Suzanne schauen sich an und ihre Körpersprache verrät Zustimmung.
»Können wir währenddessen schon eine Sangría bekommen?«
Sie suchen sich einen Tisch aus, der durch eine zurückgesetzte Wand etwas versteckter ist, und der junge Mann zündet ihnen die zwei Kerzen an, die auf einem Kandelaber stehen. Rauchen ist glücklicherweise gestattet, zumindest stehen Aschenbecher auf den Tischen. Schnell zünden sich die beiden eine Zigarette an, um von dem ungewohnten Recht Gebrauch zu machen.
»Lass Dich von der kitschigen Deko nicht täuschen, die Paella ist wirklich erstklassig«, sagt Suzanne, als der Bursche sich entfernt hat. Kurz darauf gehen die Leuchtstoffröhren aus. Nur die angezündeten Kerzen geben Licht sowie mehrere Wandleuchten, deren Schirme mit Goya-Motiven bedruckte Fächer sind.
Durch die neue Beleuchtung gewinnen die Plastikblumen ungeahntes Leben, und Suzannes Gesicht sieht aus, als wäre es im gleichen Licht gebadet wie auf dem Gemälde. Der junge Latino bringt einen Literkrug und zwei Tonbecher an den Tisch. Geschickt serviert er die Sangria, indem er mit einem großen Löffel dafür sorgt, dass die Fruchtstückchen und das Eis nicht in die Becher plumpsen.
»Nach dem vielen Bier und der Sangria wirst du mich nach Hause tragen müssen«, sagt Suzanne und sieht dabei aus wie eine zerzauste Säuferin.
»Für die spanische Hälfte von Dir mache ich einen Sonderpreis.«
»Ah, da fällt mir ein, ich weiß ja gar nicht, wo Du herkommst. Aus Katalonien? In Deiner Akte steht, dass du in Tarragona geboren bist …«
»Zumindest offiziell. Dort war mein erstes Waisenhaus. In Wirklichkeit habe ich keine Ahnung, wo ich auf die Welt gekommen bin. Ehrlich gesagt, finde ich das gar nicht so schlimm. Damit erledigt sich die peinliche Versuchung patriotischer Anwandlungen von selbst.«
»Weder Gott noch Vaterland?«
T trinkt einen Schluck Sangría, bevor er antwortet:
»Eigentlich wäre einem Inspektor der Mordkommission ja sehr dazu zu raten, an irgendetwas zu glauben.
Aber wahrscheinlich bin ich auch kein normaler Inspektor, sondern eher die postmoderne Version eines Inquisitoren. Und davon gibt es nur zwei Varianten: Entweder sind wir Psychopathen oder genau das Gegenteil davon.«
»Aha … Und was ist das Gegenteil eines Psychopathen?«
»Jemand, für den transzendente Gerechtigkeit wichtig ist oder das universell Gute, zu dem sich etwas beitragen lässt.«
»Und daran glauben Psychopathen nicht?«
»Nein. Sie lernen, so zu tun als ob. Das machen sie so perfekt, dass niemand etwas merkt. Der erste Psychopath beispielsweise, den ich kennengelernt habe, war ein katholischer Priester. Ich sage Dir, der spielte das täuschend echt. Ich war damals sechs Jahre alt … Dieser Mann war alles andere, nur kein tief Gläubiger: Psychopathen können an gar nichts glauben, nicht einmal an den Teufel, selbst wenn sie das satanische Tamtam bisweilen fasziniert.«
»Wieso nicht?«
»Weil Gläubige eine bestimmte Moral verinnerlichen, Spielregeln, und reine Psychopathen zutiefst amoralisch sind. Ihnen fehlt wie einem Tigerhai die Fähigkeit, sich auch nur ethisch verhalten zu können.«
»Ich kenne mich da nicht so gut aus, aber mir dämmert dunkel, in einem Seminar an der Akademie mal etwas über religiöse Motive zum Verbrechen gehört zu haben …«
»Diese Leute wiederum leiden dann an einer Psychose, aber das ist wieder was anderes. Psychopathen könnten höchstens versuchen, mit Psychosen durchzukommen und so tun, als hätten sie welche.
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