Im Namen Des Schweins
dagegen, sich darüber öffentlich zu verbreiten. Das kann manchmal in die Hose gehen.«
»Andererseits dürfte es nicht leicht sein, mit … mmh … dieser Art von Geheimnis … zu leben.«
»Manchmal bleibt einem keine andere Wahl.«
»Hmmm …«
T nervt der ungläubige Unterton: »Stell Dir doch vor … Nehmen wir mal ein schreckliches Beispiel.
Warte … Stell Dir vor, ein junges Mädchen wurde von einer ganzen Gruppe brutalst vergewaltigt … Das Mädchen wurde gequält und misshandelt, wie man es sich kaum vorstellen kann … Und die Nachbarn oder Familienangehörige mussten zusehen … Solche grausamen Fälle kommen in Kriegsgebieten vor, das kannst Du in jeder Zeitung nachlesen. Und jetzt verrate mir mal eins: Meinst Du, das Mädchen hat eine reale Chance, sich danach ein neues Leben aufzubauen, wenn sie in einem kleinen Dorf lebt, unter Menschen, die alle Details kennen, die vorgefallen sind?«
Suzanne ist bis hin zum Lidschlag reglos: »Das Mädchen hat keine Schuld an dem, was …«
»Und? Spielt das eine Rolle? Es spielt überhaupt keine Rolle. Es ist völlig wurst, ob jemand Opfer oder Täter ist. Das Einzige, was zählt, ist, dass dieses Mädchen für alle Zeiten stigmatisiert wäre. Solche Opfer haben nur dann eine Chance, neu anzufangen, wenn sie woanders hingehen. Das ist unendlich grausam und ungerecht, aber so ist es. Die Welt ist grausam und ungerecht. Schau Dir doch beispielsweise an, was mit Michael Jackson passiert.«
Suzanne sieht verwundert aus. Aufrichtig verwundert. T redet weiter: »Alle halten Michael Jackson für einen Spinner, nicht? Die herrschende Vox populi ist doch: Er sei komplexbeladen, habe Probleme mit seiner Hautfarbe etc. etc. etc …«
Suzanne spielt einen tanzenden Roboter und nickt.
»Okay, nehmen wir an, sie haben Recht. Was machen die Leute damit? Sie machen ihn lächerlich, parodieren ihn und stempeln ihn ab. Wenn der Ärmste tatsächlich Probleme mit sich selbst haben sollte, dann wäre er derjenige, der am schlimmsten darunter leidet, stimmt’s? Er ist derjenige, dem es dadurch dreckig geht. Niemand würde sich so sehr wünschen wie er selbst, dass die Dinge anders liegen würden. Eigentlich sollte er einem leid tun, stimmt’s? Oder welche Reaktion hälst Du sonst für gerecht oder nett oder rational? Aber in Wirklichkeit hat niemand Mitleid mit ihm, sondern er löst höhnische Reaktionen aus.«
Suzanne schaut an die Decke und scheint nachzudenken.
»So ist es und so ist es schon immer gewesen«, fährt T vehementer fort als sonst, »wir Erwachsenen unterscheiden uns da nicht so sehr von Kindern. Der Schwächere hat die Arschkarte gezogen und wird zur Zielscheibe aller Grausamkeiten. Da kann er noch so unschuldig sein. Und weißt Du, warum …?«
»Du wirst es mir gleich erklären … Ich sehe das alles ein bisschen anders.«
»… weil man vor Tätern Angst hat. Schlächter werden als grausam wahrgenommen und verbreiten Schrecken.
Die können sich rächen. Opfer nicht. Schon gar nicht, wenn sie einmal richtig erniedrigt und gedemütigt worden sind. Dann halten sie die Schläge aus und ziehen sich zurück in ihren Schmerz und ihre Einsamkeit. Und das setzt einen perversen Mechanismus in Gang: Am angenehmsten für die Leute ist nämlich der Gedanke, das Opfer habe sich die Grausamkeiten des Täters selbst zuzuschreiben. ›Das hat er verdient, mir würde das nie passieren‹ So denken die Leute und verschwören sich dabei mit den Fieslingen und merken gar nicht, wie feige sie sind und wie sehr sie sich schämen sollten.«
»Puh …«
»Genau, puh.«
»Glaubst Du wirklich, dass die Menschen alle grausam und feige sind?«
»Nicht alle. Aber wer bis zu einem gewissen Grad grausam und feige ist, hat es leichter im Leben. Deswegen breiten die sich aus wie eine Plage. Und wenn die Grausamen und Feigen auch noch brillieren und intelligent sind, dann können sie es richtig weit bringen.«
»Das sehe ich ganz anders. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass Du selber glaubst, was Du da sagst. Wenn das alles stimmen würde, dann wären wir … mmh … von Psychopathen regiert.«
T hebt das Schnapsglas an die Lippen und grinst: »Wir werden ja auch von Psychopathen regiert.«
***
Nach dem Unwetter ist die Luft wieder klar. Dicke Tropfen hängen an den Markisen und Vorsprüngen. Die Leute stecken die Köpfe aus den Türen. Schilder und Straßenlaternen vervielfachen sich in den Pfützen. Der Verkehr auf der 7. wirkt von ferne wie ein Fest von Rottönen. T
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