Im Namen des Sehers -: Soul Seeker 3 - Roman (German Edition)
verbracht haben, das waren die absolut unbestreitbar besten Tage meines Lebens.« Sie schürzt die Lippen, atmet kurz zischend aus und lässt die Flammen damit erneut wild auflodern. »Diese Momente waren das einzige Stück Schönheit, das ich je mein Eigen nennen durfte.« Sie wendet sich mir zu, voller Neugier, wie ich reagiere.
»Und doch bist du entschlossen, mich zu vernichten«, erwidere ich, weniger an ihrer erfundenen Version der Vergangenheit interessiert als an den Vorgängen vor meinen Augen.
Das Feuer tobt.
Das Eis schwitzt.
Der Pflock senkt sich weiter herab.
Und die Fackel in Phyres Hand stößt eine neblige Wolke aus giftigen, erstickenden Dämpfen aus.
»Mach mir keinen Vorwurf, Dace. Und schau mich nicht so an – als wäre ich eine Art Monster.« Sie zieht einen Schmollmund, als hätte ich sie zutiefst beleidigt. »Nichts davon ist meine Schuld. Schließlich hab ich nicht um dieses Leben gebeten. Ich wurde auserwählt. Schlicht und einfach. Und jetzt erfülle ich lediglich meine Bestimmung. Tue das, wofür ich geboren wurde.« Sie schwenkt die Fackel vor sich und sticht damit in die Flammen. Dann leuchtet ihr Gesicht freudig auf, als Feuer auf Feuer trifft. »Zufälligerweise wurde ich geboren, um dich zu töten.« Sie wirft mir einen Blick zu. Nachdem sie sich vergewissert hat, dass ich angemessen verängstigt bin, senkt sie die Fackel und lässt das Feuer schwächer werden. »Wenn ich nicht hier stünde, dann wäre es eine meiner Schwestern, Ember oder Ashe. Es ist unser Familienerbe, Dace. Ich kann es nicht ändern oder irgendwie aufheben. Das soll nicht heißen, dass es mir auf Anhieb gefallen hätte, denn glaub mir, das hat es nicht. Aber nachdem mir mein Vater die Idee erklärt hat und ich mich entschlossen hatte, mein Schicksal zu akzeptieren, begann ich alles anders zu sehen. Jeder hat ein Schicksal, einen Lebenszweck. Trotzdem trotten die meisten Leute völlig ahnungslos durch ihr Leben. Du und ich dürfen uns glücklich schätzen. Wir haben es früh kapiert. Außerdem finde ich es irgendwie romantisch, dass unsere Schicksale miteinander verknüpft sind. Ich habe vom ersten Moment an gewusst, dass zwischen uns etwas Größeres ist. Und deshalb solltest du Trost darin finden, dass dein Ende von mir kommen wird. Ich meine, stirbst du nicht lieber durch die Hand von jemandem, der dich liebt?«
»Ich würde lieber überhaupt nicht sterben.« Ich werfe Daire einen warnenden Blick zu, damit sie stillhält.
Phyre ist eindeutig verrückt geworden. Und es ist das Beste für Daire, wenn sie sich im Hintergrund hält und sich nicht einmischt. Alles, was Daire sagen oder tun könnte, würde Phyre nur provozieren. Außerdem bin ich derjenige, der seine Seele befleckt und sie angreifbar gemacht hat. Also muss ich auch derjenige sein, der ihre Rückgabe aushandelt.
»Du enttäuschst mich, Dace«, seufzt Phyre theatralisch. »Der Tod widerfährt nicht nur anderen, weniger vom Glück begünstigten Leuten. Er widerfährt uns allen. Genau wie er dir widerfahren wird. Wir müssen alle eines Tages abtreten. Aber eigentlich hätte ich mir denken können, dass du das sagst. Es ist erstaunlich, an was für Illusionen sich die Leute bereitwillig klammern.« Sie wendet sich abermals den lodernden Flammen zu und lässt sie mit tiefen, gezielten Atemzügen abwechselnd aufflammen und wieder nachlassen und genießt das Spielchen. »Du hast ja keine Ahnung, was für ein Gefallen das ist. Zumindest wird dieser Tod schnell und schmerzlos sein. Und dir werden die Schrecken der Letzten Tage erspart bleiben, die uns, nur damit du’s weißt, unmittelbar bevorstehen. Enchantment wird es leider nicht so gut ergehen. Es ist eine Stadt voller gotteslästerlicher Heiden und Sünder. Angesichts dessen halte ich es für das Beste, wenn du dies als mein Abschiedsgeschenk für dich betrachtest. Vor zwei Jahren habe ich dir meine Jungfräulichkeit geschenkt, und jetzt schenke ich dir einen schmerzlosen Abgang aus einer schmerzerfüllten Welt.«
Sie macht den Mund auf und sammelt ihren Atem, doch das kann ich nicht noch einmal zulassen. Die große Skulptur ist schon fast ganz aufgeweicht. Und es bedarf nur noch einiger gut gezielter Atemzüge, bis auch die kleinere geschmolzen ist und meine Seele schutzlos daliegt. Womit der Pflock seinen grausigen Abwärtskurs beenden kann.
»Ich sehe es nicht so wie du«, sage ich, wobei mein Mund so trocken ist, dass ich mir die Worte mühsam abringen muss. »Ich sehe die Welt nicht so
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