Im Namen Ihrer Majestät
handelte es sich um eine Kopie eines früheren Selbstmords. Das öffentliche und politische Interesse war schnell geweckt, Untersuchungen wurden durchgeführt.
Dennoch verschlimmerte sich die Situation rasch.
Eine Woche nach Ashraf Dajibhais behauptetem da capo des indischen Seiltricks wiederholte ein Wissenschaftler indischer Herkunft, Vijai Samjani, einen weiteren Selbstmord aus dem Zeitraum 1983–1989.
Die Umstände waren verblüffend ähnlich.
Vijai Samjani hatte in einem Monat heiraten wollen. Was die Eheschließung hinauszögerte, waren die durchaus nicht ungewöhnlichen Schwierigkeiten, ein Einreisevisum für seine künftige Frau zu erhalten. Er hatte seinen lokalen Parlamentsabgeordneten einen Tag vor seinem Tod aufgesucht, um Druck in der Angelegenheit zu machen.
Auch Vijai Samjani fuhr plötzlich mit seinem Wagen los und verschwand nach Bristol. Er parkte in der Nähe der Clifton-Brücke über den Avon, ging auf die Brücke und sprang auf die Steinplatten am Widerlager der Brücke. Es war ein Sturz von mehr als siebzig Metern.
Auch in seinem Fall gab es kriminaltechnische Umstände, die sich schwerlich erklären ließen. Beispielsweise fand man im Aschenbecher des Wagens drei halbgerauchte Zigarillos, obwohl Samjani Nichtraucher war. Später stellte sich heraus, daß er in einem Bed & Breakfast übernachtet hatte, das weniger als einen Steinwurf von British Aerospace entfernt lag, wo er früher angestellt gewesen war und an Programmsystemen für die Luftabwehrrakete Rapier gearbeitet hatte. Zur Zeit seines Todes war Vijai Samjani bei Marconi Naval Systems angestellt und arbeitete an einer neuen Generation Torpedos des Typs Sting Ray.
In den meisten Ländern der Welt wäre es den zuständigen Polizeibeamten außerordentlich schwergefallen, die Ermittlungen einzustellen. Das britische Rechtssystem kennt jedoch eine Spezialität, die es in manchen Fällen ermöglicht, die gesamte Verantwortung für eine bestimmte Ermittlung in die Hände eines einzigen Menschen zu legen; dies völlig unabhängig von der allgemeinen Überzeugung der Briten, daß die Mächtigsten im Staate sich in alles einmischen und alles entscheiden könnten, indem sie einander in einem Herrenclub nur etwas zugrunzten.
In Großbritannien haben Gerichtsmediziner, die Coroner, eine sehr bedeutende juristische Prüfungsfunktion. Der Gerichtsmediziner sammelt sämtliches relevante Material und führt anschließend eine amtliche Leichenbeschau durch, eine Art Gerichtsverhandlung, die öffentlich ist. Dabei wird das Beweismaterial vorgelegt, das zumindest der Form nach von jedem Anwesenden diskutiert und in Frage gestellt werden kann. Bei einer solchen Prüfung kann der Gerichtsmediziner zwischen vier verschiedenen »gerichtlichen Entscheidungen« wählen: Tod durch Fremdeinwirkung, Tod infolge von Unglücksfall oder Selbstmord oder Tod durch ungeklärte Umstände (open verdict).
Die gerichtsmedizinische Prüfung der beiden Fälle von Vijai Samjani und Ashraf Dajibhai in Bristol führte zu dem Beschluß, daß Tod durch ungeklärte Umstände vorliege. Damit gab es für die Polizei von Bristol offiziell einen zwingenden Grund mehr, ihre Ermittlungen fortzusetzen. Es war nicht behauptet worden, es liege Mord vor.
Einige Zeit später ließ die Polizei jedoch mehr oder weniger absonderliche Erklärungen für gedachte Selbstmordmotive durchsickern. Von Ashraf Dajibhai wurde behauptet, er sei mit der mystischen Sekte Anoopam Mission in Buckinghamshire in Berührung gekommen, einer Sekte, die in früheren bekanntgewordenen Fällen Menschen dazu gebracht hatte, in Grübeleien und Depressionen zu verfallen.
Es stellte sich jedoch bald heraus, daß hier bestenfalls eine Verwechslung vorliegen konnte. Die Sekte war hinduistisch, Ashraf hingegen ein gläubiger Moslem. Die Wahrscheinlichkeit, daß er, der überdies ein gelinde gesagt rationaler und moderner Mensch war, EDV-Experte mit der Spezialität Militärtechnologie, ausgerechnet unter wirrköpfigen Hindus gelandet sein sollte, die in weißen Gewändern, mit Blumen, Weihrauch und aneinandergelegten Handflächen weißen Mittelstandsfrauen ins Ohr bliesen, es werde auf Erden Friede und Ruhe einkehren, wenn sie nur ein paar Dutzend Pfund für die weisen Worte des Abends beitrügen, nein, die Wahrscheinlichkeit war nicht groß.
Die inoffiziellen Sprecher der Polizei von Bristol wandten sich deshalb mit einer Berichtigung an die Presse. In Wahrheit sei Vijai Samjani in den Klauen der Sekte
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