Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman
Vater Michael erzählt, euer Daddy hätte sich mit Adele Hebert im Schuppen getroffen. Ihr wollt sie gesehen haben, wie sie eurem Vater auf den Rücken gesprungen ist. Nichts davon ist wahr.«
Die beiden sahen sich erfreut an. Mit unbewegter Miene wandte sich Caleb dann an Raymond. »Das haben wir nie gesagt.«
»Ihr habt gesagt, ihr seid eurem Daddy zum Schuppen gefolgt, wo er Adele getroffen hat, um mit ihr zu schlafen. Vater Finley hat das nicht erfunden.«
Caleb schüttelte den Kopf. »Das haben wir nie gesagt.«
Raymond spürte, wie ihm gleich der Geduldsfaden riss. »Jungs …«
In diesem Moment ging die Tür auf. John LeDeux kam herein, den Hut in der Hand. Er nickte Raymond zu. »Hallo, Jungs.«
Raymond atmete tief durch. »Tut mir leid, Mr. LeDeux. Ich hab unsere Verabredung ganz vergessen.«
»Keine Sorge. Ich hab im Café ganz nett gefrühstückt und mir schon gedacht, dass sich wegen des Mordes an Praytor Ihr Zeitplan geändert haben könnte.«
»Können wir unser Gespräch verschieben?« Raymond versuchte seine innere Unruhe zu verbergen. Auf seiner langen Liste der noch zu erledigenden Dinge stand das Gespräch mit dem Professor nicht allzu weit oben.
»Vielleicht könnte ich Sie im Wagen begleiten, egal wohin Sie fahren, und wir reden unterwegs. Ich muss nämlich nach dem Mittagessen nach Baton Rouge, und davor hätte ich mich gern mit Ihnen unterhalten.«
»Ich muss in die Sümpfe.«
»Umso besser«, erwiderte John. »Chula meint, ich sollte öfters in die Natur, damit ich nicht so akademisch aussehe. Bei ihr klingt das, als wäre mein Beruf eine Art Krankheit, die sie auskurieren möchte.«
Es war schwer, den Mann nicht zu mögen. »Wie Sie wollen. Wenn Sie zur Universität zurückfahren, könnten Sie für mich dann vielleicht etwas mitnehmen?«
»Klar. Wenn ich Ihnen helfen kann.«
Raymond warf einen finsteren Blick zu Caleb und Nathaniel. »Wenn ich zurückkomme, werdet ihr mir einiges zu erklären haben. Wenn ihr nicht hier eingesperrt gewesen wärt, würde ich sagen, ihr habt Praytor umgebracht.«
»Vielleicht haben wir uns in eine Fledermaus verwandelt und sind einfach rausgeflogen.« Caleb lachte, worauf sein Bruder mit einfiel. »Der alte Scheißer hat ziemlich gut geschmeckt!« Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.
Die Jungen lachten noch immer, als Raymond auf die Straße trat.
Florence saß auf ihrer Vorderveranda und sah den Streifenwagen davonbrausen. Ein Mann, der aus der Ferne wie der Professor aussah, der um Chula Baker warb, saß auf dem Beifahrersitz. Schön für Chula, wenn sie jemanden gefunden hatte, der zu ihr passte. Viele waren neidisch auf sie, weil sie ihr eigenes Geld, ihre eigene Arbeit und ihren eigenen Kopf hatte. Chula führte ein Leben, mit dem sie klarmachte, dass es ihr völlig gleichgültig war, was andere über sie dachten.
Der Kerl von der Uni schien eine gute Partie zu sein. Bedächtig schaukelte sie vor sich hin. Was war Raymond Thibodeaux für ein Mann? Darauf hatte sie nur teilweise eine Antwort. Immer wenn sie dachte, sie könnte ihn zu fassen bekommen, machte er etwas Unerwartetes. Trotzdem hatte sie einiges erfahren. Er mochte sie. So sehr, dass er sich um sie wie um eine Ehefrau kümmerte. Und sie hatte über sich selbst etwas erfahren. Sie wollte nicht nur seine Liebe, sondern auch seinen Respekt. Beim Freudenfeuer hatte er sie kosten lassen, wie es sich anfühlte, wenn er in aller Öffentlichkeit seine Zuneigung zu ihr zeigte. Es hatte das Bedürfnis nach mehr bei ihr geweckt.
Der Schaukelstuhl knarrte und erinnerte sie an die lang zurückliegenden Herbsttage, an der sie und ihre Mutter auf der kleinen Veranda gesessen hatten und der Wind den feuchten, klaren Geruch vom Fluss zu ihnen getragen hatte. Seite an Seite in ihren Stühlen hatten sie über Florence’ Zukunft gesprochen, über die Dinge, die zum Greifen nahe schienen. Die katholische Schule würde zum College führen, zu einer Ausbildung, die ihr den Luxus einer festen Anstellung ermöglichen würde. Sie wollte Lehrerin werden. Seltsam, dass Adele ebenfalls diesen Traum hatte.
Mit der Vergewaltigung im Garten hatte sich alles verändert. Florence kehrte nicht zur Schule zurück, obwohl ihre Mutter sie dazu gedrängt hatte. Sie konnte es nicht. Sie war nicht mehr das hübsche junge Mädchen, das die Nonnen so gern mochten. Ein Ereignis, ein kurzer Augenblick in der Zeit hatte ihr die Zukunft geraubt. Vielleicht fühlte sie sich deshalb zu Raymond so hingezogen. Ihre
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