Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman

Titel: Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
Vom Netzwerk:
wofür Sie überhaupt Interesse aufbringen, seitdem Sie aus dem Krieg zurück sind.«
    »Werden Sie mich feuern?« Plötzlich wurde Raymond bewusst, wie sehr er auf seine Arbeit angewiesen war. Es überraschte ihn, wie nah ihm alles ging. Florence hatte recht. Er hatte Adele zu seinem persönlichen Feldzug gemacht. Es spielte keine Rolle, ob sie Henri und Praytor umgebracht hatte. Sie war ein Geschöpf der Wildnis, das sich nur auf seine Instinkte verließ, das sich nicht von den Fesseln der Zivilisation beeinträchtigen ließ. Raymond wusste, wie sich das anfühlte. Nach Antoines Tod war er in seinem Schmerz ebenfalls zu einem Wilden geworden. Er hatte Dinge getan, grausame Dinge, die in Kriegszeiten gepriesen wurden.
    Joe antwortete nicht. Er ging zum Fenster und starrte auf die Straße hinaus.
    Von seinem Schreibtisch aus konnte Raymond sehen, dass die Geschäfte geöffnet hatten. Ein neuer Tag war angebrochen. Die neuesten Kriegsnachrichten verhießen Gutes. Die amerikanischen Truppen waren in Afrika und in Europa auf dem Vormarsch. Man rechnete mit weiteren fünf Monaten, dann könnten die Jungs wieder nach Hause. Die allgemeine Hoffnungsstimmung ließ sich auch daran ablesen, dass die Leute wieder mehr ausgaben. Wer noch Geld besaß, konnte es kaum erwarten, sich neue Dinge anzuschaffen. Es ging wieder aufwärts. Vielleicht sogar mit ihm. So lange war er außerhalb von Zeit und Raum gewesen, ein lebender Toter. Adele war zu seinem Spiegel geworden und hatte ihm vor Augen geführt, was für ein unzureichendes Leben er geführt hatte. Florence wiederum hatte in ihm den Willen zum Leben entfacht.
    »Joe, ich würde gern bleiben.«
    Joe, nicht mehr als eine Silhouette vor dem Fenster, drehte sich zu ihm um. »Ich werde Sie nicht feuern. Sie sind ein besserer Polizist als ich. Sie sind mutiger als die meisten hier, und die Menschen respektieren das. Aber die Menschen brauchen mehr als Respekt, Raymond. Sie meinen, ich erzähle immer nur Klatschgeschichten. Ich setze mich mit den Leuten zusammen, und es dauert nicht lange, und wir erzählen uns ein, zwei Witzchen, und wenn ich gehe, haben sie vielleicht nicht mehr so viel Angst wie vorher. Das können Sie nicht, Raymond. So, darauf können Sie jetzt herumkauen, während ich zum Doc fahre und frage, ob er schon die Autopsie an Praytor durchführen kann.«
    Die Tür ging zu. Raymond saß an seinem Schreibtisch, die Hände flach auf die Oberfläche gelegt. Joe hatte die Wahrheit gesagt, und er hatte etwas über sich selbst und den Sheriff erfahren. Langsam erhob er sich, Schmerzen fuhren ihm ins Rückgrat. Es zeugte von einer gewissen Ironie, dass er zwar keinerlei Mitleid mit Praytor hatte, aber zu wissen glaubte, wie es sich anfühlt, wenn einem das Fleisch von den Knochen gerissen wurde.
    Er griff sich seinen Hut. Clifton Hebert war über Praytors Leiche »gestolpert«, hatte im Sheriffbüro Bescheid gegeben und war dann mit seinen Hunden in den Sümpfen verschwunden.
    Was Raymond nicht aus dem Kopf wollte, war der Tatort. Die Ähnlichkeiten der beiden Vorfälle, die Tatsache, dass die Leichen so zugerichtet waren, dass die Todesursache nicht mehr feststellbar war, dazu, dass beide Opfer geschäftlich miteinander zu tun gehabt hatten. Ebenso verdächtig erschien ihm, dass der Hund, den Praytor aus Angola geliehen hatte, unverletzt geblieben war. Wenn Praytor wirklich aus dem Wald gekommen war, mit dem Hund, der an der Leine zog, warum war dann dieses sogenannte wilde Tier nicht über den Hund hergefallen, sondern über Praytor? Raubtiere waren klug. Sie töteten immer das schwächste Opfer. Als Erstes hätte also der Hund getötet werden müssen.
    Er holte sich ein Gewehr aus dem Waffenschrank neben den Zellen.
    »Wollen Sie den loup-garou erschießen?«, fragte Nathaniel Bastion.
    Raymond hatte glatt vergessen, dass sich die beiden noch im Gefängnis befanden. »Es gibt keinen loup-garou .« Raymond packte eine Schachtel mit Munition ein.
    »Wen wollen Sie dann töten?«, fragte der Junge.
    »Überhaupt keinen, hoffentlich. Ich hab genug getötet.« Er ging zur Zelle. »Wohin, meint ihr, ist eure Mutter verschwunden?«
    Caleb, der ältere, zuckte mit den Achseln. »Fort. Sie wär schon früher gegangen, aber Daddy hätte sie wieder eingefangen und zurückgebracht. Sie sagt, wir sind eine Teufelsbrut.« Er grinste. »Das muss man sich erst mal verdienen.«
    Raymond musterte die beiden. »Ihr seid Lügner und Rabauken, aber ihr seid nicht unrettbar verloren. Ihr habt

Weitere Kostenlose Bücher