Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman
Wagen an den Straßenrand heranfuhr.
Raymond hielt dahinter an und war schon aus dem Wagen, bevor Joe überhaupt die Tür aufschwingen konnte. Im Scheinwerferlicht war ein Haufen aus verdreckten Kleidungsstücken zu erkennen, umgeben von einer unheilvollen pechschwarzen Lache.
Die Angst kroch Raymond über den Rücken. Peat Moss war in Sicherheit. Der Aufruhr wegen Adele hatte sich beruhigt, doch das hier würde alles wieder auflodern lassen. Er ging auf den Haufen zu und richtete die Taschenlampe darauf. Im ersten Moment war nicht auszumachen, worum es sich handelte. Dann glitzerte etwas metallisch auf, Raymond erkannte die eleganten silbernen Beschläge von Praytors Stiefel. Er ging in die Hocke und musste die Galle hinunterschlucken, die ihm in die Kehle stieg.
»Ist es Praytor?«, fragte Joe, der neben den Scheinwerfern seines Wagens stehen geblieben war.
»Ich nehme es an.« Raymond zog an einem Stofffetzen, schwerfällig rollte er sich auf, dann plumpste ein Arm heraus. Im Strahl der Taschenlampe erschien das, was von Praytors Gesicht noch übrig war. Die Zähne waren zu sehen, die Wangenknochen. Haut und Fleisch waren zum größten Teil zerfetzt.
Die Leiche war in sich eingeknickt. Raymond faltete sie auseinander und zog Arme und Beine in ihre natürliche Stellung. Der gesamte Bauchbereich fehlte, am Rückgrat waren schimmernde Sehnen erkennbar. Langsam stand er auf.
»Sind Sie sicher, dass es Praytor ist?«, fragte Joe.
Raymond, der es leid war, in das gleißende Licht der Scheinwerfer zu starren, ging zum Sheriff. »Es ist Praytor. Oder was von ihm noch übrig ist.«
»Scheiße.« Joe schüttelte den Kopf. »Wie ist er gestorben?«
»Schwer zu sagen. Die meisten inneren Organe fehlen.«
»Scheiße!« Joe wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn. »Scheiße!«
Ein langes, trauriges Heulen ertönte aus dem Wald. Der Sheriff zuckte zusammen. Als aus dem Unterholz ein Rascheln zu hören war, zogen beide Männer ihre Waffen. Mit einem lauten Klicken verriegelte der Fahrer des Sheriffs die Wagentüren.
»Bleiben Sie hinter den Scheinwerferlichtern«, sagte Raymond, als Joe sich schon in Bewegung setzen wollte. »Hier sind wir im Vorteil.«
Seite an Seite starrten sie in die Schwärze der Sümpfe. Der Strahl von Raymonds Taschenlampe schien von den Bäumen abzuprallen. Das Rascheln wurde lauter, gefolgt von einem kläglichen Jaulen, das eine Ewigkeit anzuhalten schien.
»Dort drüben in den Büschen.« Joe deutete auf einen dichten schwarzen Abschnitt. »Erschießen Sie es.«
Raymond legte die Hand auf die Waffe des Sheriffs und drückte den Lauf nach unten. »Was, wenn es ein Jäger oder ein Kind ist? Es könnte auch Adele sein.«
»Sie sind für alles verantwortlich, was hier geschieht.« Joe richtete die Waffe wieder auf den Busch. »Heute Nacht schieße ich erst und mach mir später Gedanken darüber. Wenn Adele hier ist, werde ich sie töten.« Er zog den Hahn zurück.
Erneut drückte ihm Raymond den Lauf nach unten. »Lassen Sie das, Joe. Ich werde nachsehen.« Er ging in Richtung der Büsche, dann drehte er sich noch einmal um. »Wenn Sie mir in den Rücken schießen, werde ich Ihnen Ihr Leben lang als Geist erscheinen.«
Joe ließ die Waffe sinken und entspannte den Hammer. »Sie sind entweder ein tapferer Mann oder ein Dummkopf. Wenn dieses Miststück Sie angreift, werde ich abdrücken, und ich werde nicht eher mit dem Schießen aufhören, bis sie tot ist.«
Raymond näherte sich dem Zürgelbaumbusch. Er erhaschte das reflektierte Glimmen eines roten Augenpaares, einen Moment glaubte er, vor Angst ersticken zu müssen. Mit der Waffe im Anschlag zwang er sich weiterzugehen. Wenn es sein musste, würde er sie erschießen. Mit einem sauberen Schuss. Kein Leiden. Aber er wollte sie nicht umbringen.
»Adele?«, sagte er leise, damit Joe ihn nicht hören konnte. »Komm Sie raus, und lassen Sie sich helfen.«
Die Büsche zitterten.
»Kommen Sie raus«, sprach er freundlich. »Wenn nicht, werden die Männer Sie so lange jagen, bis sie Sie finden und töten.«
Die Büsche zitterten heftiger.
»Adele.« Er redete mit ihr, wie er mit einem wilden Hund reden würde.
Die Augen kamen auf ihn zu, und zwischen den Büschen erschien ein großer roter Hund. Er drückte sich auf den Boden, kroch auf dem Bauch, winselte und jaulte. Die Leine schleifte er hinter sich im Dreck nach.
»Schon gut«, sagte Raymond, ging in die Hocke und streichelte dem völlig verängstigten Tier den Kopf.
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